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Zerstöre mich

Zerstöre mich

Titel: Zerstöre mich
Autoren: Tahereh H. Mafi
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›zerstört‹?«
    Delalieu schüttelt den Kopf. »Es war … unfassbar, Sir. Die Tür … sah aus, als sei ein wildes Tier hindurchgebrochen. In der Mitte befand sich ein großes klaffendes Loch.«
    Ich stehe ruckartig auf, halte mich am Tisch fest. Mir stockt der Atem, weil ich eine Vermutung habe. Und ich muss mir den lustvollen Schmerz gönnen, noch einmal an ihren Namen zu denken, da ich weiß, dass nur sie es gewesen sein kann. Sie muss etwas Außerordentliches vollbracht haben, und ich habe es versäumt.
    »Rufen Sie mir einen Fahrer«, befehle ich Delalieu. »In zehn Minuten treffen wir uns im Quadranten.«
    »Sir?«
    Doch ich laufe schon hinaus.

4
    Als sei ein wildes Tier hindurchgebrochen. Die Beschreibung ist äußerst zutreffend.
    Ein Außenstehender würde sich diesen Anblick vielleicht so erklären, doch er ist natürlich völlig abwegig. Kein Tier könnte durch eine derart dicke Stahltür brechen, ohne sich selbst die Gliedmaßen zu amputieren.
    Und sie ist auch kein wildes Tier.
    Sie ist eine sanfte tödliche Kreatur. Zart und scheu und gefährlich. Sie ist vollkommen außer sich und hat keine Ahnung, wozu sie fähig ist. Und obwohl sie mich hasst, bin ich fasziniert von ihr. Ihre vermeintliche Unschuld bezaubert mich, und ich bin geradezu neidisch auf die Kräfte, über die sie unwissentlich verfügt. Ich sehne mich danach, Teil ihrer Welt zu sein. Ich will wissen, was in ihrem Kopf vorgeht. Was sie fühlt. Es ist gewiss eine schlimme Last.
    Und nun ist sie irgendwo da draußen unterwegs, eine frei schweifende Gefahr.
    Was für eine wunderbare Katastrophe.
    Ich betaste vorsichtig die Ränder des klaffenden Lochs. So etwas Chaotisches ist nicht geplant entstanden. Hier hat jemand mit blindwütiger Kraft gehandelt. Ich frage mich dennoch, ob ihr bewusst war, was sie tat. Oder ob sie so verblüfft war wie an dem Tag, als sie durch diese Betonwand brach, um zu mir zu gelangen.
    Ich lächle in mich hinein. Frage mich, welche Erinnerungen sie an diesen Tag hat. Meine Soldaten waren durch Simulationen bereits auf alle Szenarios vorbereitet, was sie natürlich nicht wusste. Die Situation sollte authentisch wirken, und ich hatte sie möglichst realistisch angelegt. Ich wollte Juliette die Chance geben, ihre wahre Natur zu entdecken, ihre Kräfte in einem gesicherten Raum zu erproben. Und da ich ihre Vergangenheit kannte, wusste ich, dass ein Kleinkind genau der richtige Auslöser sein würde. Doch auf ein derartig überwältigendes Ergebnis hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Später wollte ich mit ihr darüber sprechen, aber als ich dann zu ihr kam, plante sie bereits ihre Flucht.
    Mein Lächeln erlischt.
    »Möchten Sie reingehen, Sir?« Delalieus Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. »Es gibt da nicht viel zu sehen. Aber es fällt auf, dass dieses Loch gerade groß genug ist, um hindurchzusteigen. Das scheint also die Absicht gewesen zu sein.«
    Ich nicke geistesabwesend. Betrachte den zerstörten Stahl, versuche mir vorzustellen, wie sie sich gefühlt hat, als sie vor dieser Tür stand. Ich würde so gern mit ihr über all das sprechen.
    Ich spüre einen Stich im Herzen.
    Mir fällt ein, dass sie nicht mehr bei mir ist.
    Es ist meine eigene Schuld, dass sie verschwunden ist. Ich hatte mir eingeredet, dass sie sich gut eingelebt hätte, und das trübte mein Urteilsvermögen. Ich hätte besser auf die Details achten müssen. Auf meine Soldaten. Ich hatte mein Vorhaben und mein großes Ziel aus den Augen verloren – nur deshalb hatte ich sie überhaupt zum Stützpunkt bringen lassen. Ich war dumm. Leichtsinnig.
    Doch in Wahrheit war ich einfach nur abgelenkt.
    Durch sie.
    Als sie ankam, war sie kindisch und trotzig; doch im Laufe der Wochen schien sie sich einzugewöhnen, ihre Angst zu verlieren. Ich muss mir immer wieder aufs Neue klarmachen, dass diese Fortschritte nichts mit mir zu tun hatten.
    Sondern mit Kent.
    Ein Verrat, den ich nicht begreifen kann. Dass sie mich wegen dieses roboterartigen, gefühlsarmen Idioten verlassen hat. Kent ist ein absoluter Hohlkopf; mit dem zu reden ist so interessant wie das Gespräch mit einer Schreibtischlampe. Ich verstehe nicht, was sie in ihm sah, was er ihr zu bieten hatte. Er kann ihr doch bestenfalls als geeignetes Fluchtwerkzeug erschienen sein.
    Sie hat noch immer nicht begriffen, dass es in der Welt der Normalen keine Zukunft für sie gibt. Sie sollte nicht mit Menschen leben müssen, die sie niemals verstehen werden. Ich muss sie zurückholen.
    Dass ich
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