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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Natalie Schauer
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und Geschichten in einem kleinen blauen Buch, die sie heute das erste Mal zu Gesicht bekamen. Wolfgang las die Texte mehrmals und war erstaunt. Niemals hätte er angenommen, dass Alexander schrieb. Die Texte ähnelten einem Tagebuch und die Gedichte handelten von Liebe und Schmerz. Hatte Alexander vielleicht eine Freundin und er wusste es nicht? Nein, schnell verwarf Wolfgang den Gedanken. Sie hätten sicherlich ein Foto gefunden oder irgendetwas auf seinem PC, doch da war nichts.
    „Schau mal.“ Brigitte sah ihren Mann verzweifelt an und hielt die Spardose nach oben.
    „Was?“
    „Er hat sein Geld nicht mitgenommen. Meinst du, er würde fast 300 Euro hier lassen, wenn er vorhätte abzuhauen?“
    Seine Frau brach in Tränen aus und sank zu Boden.
    Wolfgang setzte sich neben sie und legte ihr die Arme um die Schultern. Das erste Mal seit Jahren berührte er seine Frau auf zärtliche Art.
    „Er wird schon wieder auftauchen. Vielleicht hat er einfach die Nacht durchgefeiert und kommt gleich mit einem Kater nach Hause.
    „Ohne seine Freunde? Das glaubst du doch selbst nicht.“
    Ihr Ton gefiel Wolfgang nicht. Sie gab ihm die Schuld , das merkte er schnell. Aber wieso? Sie waren beide beim Abendessen gewesen und er war schon öfters abends weggeblieben. Aber das war Brigittes Art. Sie gab für alles, was schief lief, Wolfgang die Schuld.
     
    Im Laufe des Tages hatten sie alle seine Freunde angerufen, die Schule, Verwandte und Bekannte — niemand wusste etwas von ihm. Sein bester Freund Pierre, der ebenfalls in der Punk-Clique war, hatte ihn zuletzt um acht Uhr im Uferlos gesehen. Sie hatten nur eine Cola getrunken und wollten dann beide nach Hause. Wolfgang konnte es nicht glauben, dass sich sein Sohn in einer Kneipe rumtrieb. Er war noch nie betrunken nach Hause gekommen. Vielleicht trank er mal ein oder zwei Bier, aber ansonsten wäre Wolfgang nie etwas aufgefallen, was nicht normal war. Bis auf die Tatsache, dass er sich wie ein Punk verhielt.
    Das Telefon riss beide aus ihren Gedanken. Es war Brigittes Mutter , die wissen wollte, ob es etwas Neues gab. Brigitte deutete Wolfgang an, dass sie nicht mit ihr reden wollte.
    „Nein, es gibt bisher nichts Neues. Wir melden uns, sobald wir was erfahren.“ Dann legte Wolfgang auf.
    Die Stunden vergingen und nichts passierte. Am Abend kamen erneut zwei Polizeibeamte und ein älterer Beamter von der Kripo. Da Alexander erst vierzehn war, wurde ein Sondereinsatzkommando ins Leben gerufen. Nun bekam auch Wolfgang Panik. Seine Frau hatte bereits am Nachmittag ein Beruhigungsmittel bekommen und schlief tief und fest. Wolfgang schwitzte fürchterlich und konnte einfach nicht glauben, dass Alexander nicht aufgetaucht war.
     
    Nach vierundzwanzig Stunden wurden die Medien eingeschaltet und in einer kleinen Stadt wie Passau war es das Gesprächsthema Nummer eins. Wolfgang nahm sich Urlaub und blieb zu Hause. Täglich kamen Freunde von Alexander vorbei, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er fühlte sich schlecht, da er so wenig von seinem Sohn wusste. Unbekannte Menschen gingen ein und aus und er wusste bald nicht mehr, wo ihm der Kopf stand.
    Schlimmer wurde es allerdings , als der Rummel nachließ. Als sich immer weniger Freunde meldeten, als die Suche schließlich fast eingestellt wurde. Das Gefühl, nicht zu wissen wo das eigene Kind ist, zerfrisst einen. Brigitte lag wochenlang im Bett, es war ihr unmöglich aufzustehen. Wolfgang blieb nichts anderes übrig, als ihre Mutter zu bitten ihm zu helfen. Als Alexander vier Wochen vermisst wurde, zog also seine Schwiegermutter bei ihnen ein. Er versucht wieder zu arbeiten, doch es funktionierte nicht und er wurde beurlaubt.

Heute — Ein Jahr nach der Entführung
     
     
     
    Wolfgang saß an seinem Schreibtisch. Es war zwei Uhr nachts
und er konnte nicht schlafen — wie üblich. Nur der Schein des Laptops beleuchtete das Zimmer. Überall hingen Zeitungsartikel von Alexanders Entführung. Seit fast einem Jahr war Wolfgang nicht mehr arbeiten gewesen, er lebte von ihren Ersparnissen. Sein Partner Max Richter hatte noch keinen Nachfolger für ihn, er hoffte inständig, Wolfgang würde endlich zur Vernunft kommen. Wolfgang war allein zu Hause — er würde für den Rest seines Lebens alleine sein. Wenige Monate nach der Entführung machte seine Frau eine Entgiftung, danach einen Entzug und dann eine Therapie. Sie tat das nicht freiwillig, doch nach einem gescheiterten Selbstmordversuch ließ Wolfgang sie einweisen. Sie hätte
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