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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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ihre nackten, pechschwarzen Kinder –, sie riefen: »Miiister Kinte! Miiister Kinte!«
    Nun kam doch irgendwie ein Schluchzen in mir hoch, es wogte durch meinen ganzen Körper, bis ich meine Hände vor das Gesicht schlug; ich fing an, laut zu weinen, wie ich es nicht mehr getan hatte seit meiner Kinderzeit. »Miiister Kinte!«
    Mir war, als müsse ich um die im Laufe der Geschichte den Mitmenschen zugefügten unglaublichen Grausamkeiten weinen – wahrlich, ein ungeheurer Makel auf dem Gewissen der Menschheit …
    Während des Rückfluges von Dakar entschloß ich mich, ein Buch zu schreiben. Die Geschichte meiner eigenen Vorfahren würde zugleich auch symbolisch die Saga aller Mitbürger afrikanischer Herkunft sein, die ohne Ausnahme ihren Ursprung irgendeinem in einem afrikanischen Dorf geborenen und aufgewachsenen Menschen wie Kunta verdankten, der gefangen und in Ketten auf einem Sklavenschiff über den Ozean gebracht wurde, für ein Leben auf irgendwelchen Pflanzungen und seitdem für den fortwährenden Kampf um die Freiheit.
    In New York fand ich unter den aufgezeichneten Telefonanrufen auch einen aus dem Kansas City Hospital vor: Unsere dreiundachtzigjährige Cousine Georgia war gestorben. Später, als ich den Zeitunterschied nachrechnete, kam ich zu dem Schluß, daß sie genau zur gleichen Stunde gestorben sein mußte, in der ich Juffure betreten hatte. Ich denke, daß sie als letzte von den alten Damen auf Großmutters Veranda irgendwie den Auftrag hatte, mich nach Afrika zu schicken, um sich dann mit den anderen, die dort oben über mich wachten, zu vereinen.
    Tatsächlich scheint es mir, als habe sich seit meiner frühen Knabenzeit eine Folge aufeinander bezogener Ereignisse schließlich zusammengefügt, um dieses Buch entstehen zu lassen. Großmutter und die anderen prägten mir die Familiengeschichte ein. Dann, durch eine wahrhaft glückliche Fügung von Umständen, begann ich als Koch auf einem Schiff der U.S. Küstenwache mit dem langen und an Umwegen reichen Prozeß, mir selbst das Schreiben beizubringen. Und weil ich das Meer liebengelernt hatte, handelten meine frühen Schreibversuche von dramatischen Abenteuern zur See, die ich aus vergilbten alten Marineberichten in den Archiven der U.S. Küstenwache gesammelt hatte. Ich hätte keine bessere Ausbildung erhalten können, um gerade den marinehistorischen Herausforderungen, die dieses Buch an mich noch stellen würde, gewachsen zu sein. Immer wieder hatten Großmutter und die anderen alten Damen bekräftigt, daß der Afrikaner mit dem Schiff »irgendwohin an einen Ort namens Naplis« gebracht worden war. Damit konnten sie nur Annapolis in Maryland meinen.
    So war mir klar, daß ich nun würde herausfinden müssen, welches Schiff mit seiner menschlichen Fracht, darunter dem »Afrikaner«, der später darauf bestanden hatte, »Kin-tay« zu heißen, nachdem sein Herr John Waller ihn »Toby« genannt hatte, vom Gambia-Fluß nach Annapolis gesegelt war.
    Zunächst mußte ich ungefähr die Zeit bestimmen, um die Suche nach diesem Schiff einigermaßen einzugrenzen. Monate vorher, in Juffure, hatte der griot als Zeitpunkt von Kunta Kintes Gefangennahme jenen angegeben, »da die Soldaten des Königs gekommen waren«.
    Nach London zurückgekehrt, studierte ich bereits die zweite Woche Berichte über Marschbefehle für britische Militäreinheiten während der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts, als ich endlich einer Notiz entnahm, daß die erwähnten »Soldaten des Königs« einer hier als »Colonel O’Hares Truppe« bezeichneten Einheit angehören mußten. Dieses Kontingent war 1767 von London entsandt worden, um die damals von Briten besetzte Sklavenfestung Fort James im Gambia-Fluß zu schützen. Die Angaben des griot waren so genau gewesen, daß ich mich hinterher fast ein wenig schämte, sie überprüft zu haben.
    Dann besuchte ich Lloyds in London. Im Büro eines Abteilungsleiters namens Mr. R.G.E. Landers sprudelte einfach aus mir heraus, was ich da versuchen wollte herauszubekommen. Er verließ seinen Platz hinter dem Schreibtisch und sagte: »Junger Mann, selbstverständlich wird Lloyds Ihnen jede nur denkbare Unterstützung zuteil werden lassen!«
    Durch Lloyds’ Vermittlung begannen sich nun für meine Nachforschungen die Türen zu den Abertausenden alter englischer Marineakten zu öffnen.
    Ich kann mich an nichts Ermüdenderes erinnern als an diese ersten sechs Wochen meiner Suche, da ich, scheinbar endlos und vergeblich, Tag für Tag erst
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