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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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verschiedener Sprachen einander gleich. Sie hat sich bewegt! Mit der Hand! Jadzia ist so fest überzeugt, sie stampft mit den Füßen auf und brüllt. Sie hat sich bewegt! Mit der Hand! Wie kann es sein, dass jemand kein Polnisch versteht?! Wie kann man nicht verstehen, wenn einer langsam und deutlich sagt, dass sie sich bewegt hat! Mit der Hand! Meine Tochter! Sie wedelt ihre Hand vor dem Gesicht der schwarzen Krankenschwester hin und her, um übertrieben die ganz kleine Bewegung zu demonstrieren, deren sie Zeuge geworden ist. Ja, sie hat die Hand so bewegt, als wollte sie nach etwas greifen, das kann ich bei der Muttergottes beschwören!
    Jadzia war völlig baff, als sie Sara in der deutschen Klinik bei München zum ersten Mal sah. Heilige Muttergottes! Das war vielleicht ein Schock! Grażynka hatte ihr gut zureden müssen, dass Sara Jackson eine ganz und gar zuverlässige und erfahrene Krankenschwester war, der sie die im Koma liegende Tochter ruhig anvertrauen konnte. Aber so etwas, heilige Muttergottes! Jadzia wollte sich lange nicht überzeugen lassen. Wie war das möglich? Warum sollte ausgerechnet die sich um Dominika kümmern? Vom Mund wird sie sich alles absparen, ihre im Jackenfutter eingenähten Rücklagen herausholen und hergeben, damit Dominika nur das Beste bekommt, und nicht bloß das Erstbeste. Man konnte ja richtig überschnappen mit den Nerven hier, jeder normale Mensch konnte einen Rappel kriegen in dieser BeErDe. Jadzia befürchtete, Dominika könnte in ihrer Abwesenheit aufwachen und sich vor der schwarzen Sara erschrecken, aber noch mehr fürchtete sie, ihre Tochter könnte überhaupt nicht mehr aufwachen. Grażynka hingegen war von Anfang an fest überzeugt, dass Dominika aus dem Koma erwachen würde. Sie wird schon aufwachen, sagte sie, immer mit der Ruhe, und Jadzia wollte ihr so gerne glauben, aber gleichzeitig ärgerte sie diese ruhige Gewissheit angesichts ihrer Sorge und Unruhe. Schöne Hellseherin!, brummte sie. Blind wie ein Maulwurf und kann keine Nadel mehr einfädeln, aber in die Zukunft will sie gucken können! Und als sie Sara sah, hätte sie sich mit Grażynka fast in die Haare gekriegt, ja um ein Haar hab ich mich mit ihr in die Haare gekriegt, wird Jadzia später erzählen, wenn dieser Krankenhausalptraum Geschichte ist. Diese Schwarze soll was von all diesen Maschinen verstehen, an die Dominika angeschlossen ist und die für sie, Jadzia, nichts als schwarze Magie sind? Sie soll Bescheid wissen und nichts durcheinanderbringen bei all diesen Knöpfen, Schaltern, Griffen und Schläuchen? Schwarz ist sie und hat die Haare gelb gefärbt, ganz kurz abrasiert, so hallodri-schnallodri irgendwie. Schwarze Deutsche – wo gibt’s denn so was? Vertürkte, das ja, damit kann man heutzutage rechnen, aber ganz und gar Schwarze? Schwarz wie die Erde, aber wie, und mit gelben Haaren? Jadzia behagt das nicht sehr, von jeher hat sie nichts für Spleenige und Hallodris übrig. Als sie erfährt, dass Sara Amerikanerin ist, wird ihre Laune auch nicht besser. BeErDe, Amerika und Koma, das ist nun wirklich zu viel. Sie hat sich bewegt! Mit der Hand! Sara Jackson überprüft die Kurven auf dem Monitor, auf dem die von der Mutter erspähte Bewegung nicht wahrnehmbar ist oder etwas weniger Wichtiges bedeutet, das Sprühen aufeinandertreffender Elektronen vielleicht oder das langsame Zusammenschlagen von Gehirnwellen, und will Jadzia beruhigen, die schon längst nicht mehr zu beruhigen ist und außerdem weder Deutsch noch Englisch kann.
    Wenn die Krankenschwester den Raum verlässt, seufzt Jadzia Chmura, wie nur sie es kann. Langsam bläht sie sich auf wie ein Wasserball, nach und nach füllen sich ihre Waden, Schenkel, Pobacken und ihr runder Bauch mit Luft, ihre Brust und ihre gepolsterten Schultern dehnen sich aus, und dann, als hätte sich jemand auf sie gesetzt, entweicht die Luft sausend, es könnte einen geradezu wundern, dass von Jadzia nicht nur ein runzliges Fleckchen Haut auf dem Boden zurückbleibt. Sie weiß, dass ihre Tochter die Hand bewegt hat, und diese schwarze Spinnerin wird noch einsehen, dass sie, Jadzia, recht hat. Wenn all die Luft entwichen ist, setzt Jadzia sich in Bewegung: Sie geht und sie redet, seit Wochen hat sie nichts anderes gemacht. Sie solle mit der schlafenden Tochter sprechen, hatte man ihr geraten, aber sie hatte nicht gewusst, wie sie das anfangen sollte, wie sollte das gehen, wie redete man mit jemandem, der nicht antwortete, nicht lächelte, keine Widerworte
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