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Wir Genussarbeiter

Wir Genussarbeiter

Titel: Wir Genussarbeiter
Autoren: Svenja Flaßpoehler
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ihm erlauben, seine Zeit mit Schönem zu verbringen anstatt mit stupider
Arbeit – und doch bewegt er sich durch die Welt wie ein gehetztes Tier.
    Mehr denn je, so habe ich in diesem Buch gezeigt, leben wir heute in einer Kultur des Machens, des unausgesetzten Tuns, der zwanghaften Selbstoptimierung, der hektischen Betriebsamkeit. Dass wir durch die moderne Technik Zeit einsparen, führt nicht dazu, dass wir entspannter würden, gerade umgekehrt sind wir getriebener denn je, weil die gewonnene Zeit sogleich wieder für irgendeine Beschäftigung genutzt wird. »In dem Maße, in dem wir durch Technik Zeit gewinnen, steigen unsere Ansprüche und Anforderungen«, stellt Ulrich Schnabel in seinem Buch Muße fest. Dass wir heute statt mit einer wochenlangen Schiffspassage mit dem Flugzeug in Windeseile weit entlegene Länder erreichen können, heißt nicht, dass wir dadurch Zeit gewönnen, sondern dass wir weiter und mehr reisen als früher. Auch dass wir immer schneller und einfacher kommunizieren können, hat nicht zur Folge, dass wir mehr Zeit hätten – vielmehr führt es dazu, dass wir exzessiv kommunizieren. Wir geben uns in frei gewordener Zeit nicht der Muße hin, sondern nutzen sie für neue, andere Anstrengungen, insbesondere für die Arbeit.
    Allein, so könnte man fragen: Worin soll der Lebenssinn schließlich liegen, wenn nicht in Aktivität und Produktivität? Wir sind, was wir tun, was wir leisten – wie könnte es anders sein? Wir zeichnen uns aus durch Talente und beruflichen Ehrgeiz, schaffen und schöpfen unentwegt: Der ambitionierte Hochleistungsmensch ist nicht nur aktiv, sondern hyperaktiv. Unentwegt entwickelt er Projekte, plant, organisiert, kommuniziert – und sollte sich hin und wieder doch einmal ein freies Zeitfensterchen öffnen, drängt sofort eine neue, vermeintlich wichtige Beschäftigung: Der Abstellraum sieht so unordentlich aus; mein Anti-Viren-Programm updaten müsste ich auch mal
wieder; und will ich nicht schon seit Tagen diese Rechnungen abheften?
    Aktivität, so scheint es, heißt Leben. Passivität, gar Stillstand, bedeutet Tod. Aber stimmt das wirklich? Immerhin zeigt sich insbesondere an Workaholics eindrücklich, dass gerade ein übertriebener Aktionismus ins Verderben führt. Der Arbeitssüchtige ist eine Produktivitätsmaschine, die auf Selbstzerstörung programmiert ist: Sie verausgabt sich bis zum Kollaps. Wäre es also möglich, dass die Passivität – das Lassen – für Leben und Arbeit doch eine weitaus wichtigere Rolle spielt, als man gemeinhin annimmt?
    Nähern wir uns dieser Frage an, indem wir klären, in welchem Verhältnis Tun und Lassen, Aktivität und Passivität, eigentlich zueinander stehen. Haben wir es wirklich mit einem radikalen Gegensatz zu tun? Hier das Leben, die Vitalität, dort Tod und Lethargie? Mitnichten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich vielmehr, dass Handeln ohne Nichthandeln undenkbar ist. Wenn ich mich für eine Handlung oder einen wie auch immer gearteten Selbstentwurf entscheide, lasse ich notgedrungen unzählige andere Handlungsoptionen aus; denn ich kann nun einmal nicht (sosehr ich es mir vielleicht auch wünsche) gleichzeitig Sport machen und ins Kino gehen; es ist mir nicht möglich, am Wochenende Freunde zu treffen und endlich mal wieder die Fenster zu putzen; und wenn ich an einem Text arbeite, kann ich nicht gleichzeitig E-Mails checken. Wir, die wir längst gewohnt sind, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, sehen die Notwendigkeit des Auslassens zwar kaum mehr (wir telefonieren mobil, obwohl wir eigentlich gerade mit einem Freund in der Kneipe sitzen), doch es liegt auf der Hand, dass eine tiefe, konzentrierte Beschäftigung nur dann gelingen kann, wenn ich mich auf eine Tätigkeit beschränke. »Unser Thun soll bestimmen, was wir lassen: Indem wir thun, lassen
wir«, schrieb Friedrich Nietzsche bereits im 19. Jahrhundert, und je zielgerichteter unser Tun ist, je stärker es uns fesselt, desto leichter fällt es uns, von anderen Tätigkeiten abzusehen. Aktiv und passiv sind somit bei genauerem Hinsehen zutiefst miteinander verschränkt – und übrigens nicht zuletzt auch deshalb, weil gerade das Nichthandeln eine radikale Form des Handelns sein kann: Wer ganz gezielt eine Handlung unterlässt, die naheliegend, ja womöglich sogar zwingend gewesen wäre (man denke an unterlassene Hilfeleistung), vollzieht eine Tat gerade dadurch, dass er etwas nicht tut.
    Bislang haben wir das Lassen als ein Aus- und Unterlassen begriffen. Doch es
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