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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen
Autoren: D Woodrell
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ich hier draußen stehen bleiben?«
    »Sie kann reinkommen«, meinte Floyd. »Aber nur kurz.«
    »Hast du gehört?« fragte Gail.
    »Ja.«
    Floyd saß im Wohnzimmer des Wohnwagens, zurückgelehnt in einem Sessel, ein Schneetagsbier in der Hand, Kopfhörer im Schoß. Er war fast zwanzig, und Ree wusste, die meisten Mädchen würden ihn als attraktiv oder verträumt oder so was bezeichnen. Rotblonde Haare, blaue Augen, kräftig gebaut, weiße Zähne und dann dieses gewisse Lächeln. Seit der Junior High School war er in Heather Powney verliebt gewesen, doch als Heather einmal nicht für ihn da war, hatte er sich volllaufen lassen und war im
Sonic
Gail über den Weg gelaufen, hatte sich mit ihr in seinen Wagen gesetzt, um Thrash Metal zu hören, während die Scheiben beschlugen. Auch am nächsten Abend traf er sich mit ihr, aber das war’s, bis dann Monate später der alte Lockrum bei ihm auftauchte, stinksauer und völlig außer Atem. Von einem Tag auf den anderen war Floyd Ehemann und Vater, und Heather Powney ging nicht mehr jedes Mal ans Telefon.
    »He, Floyd«, fragte Ree, »hast du eine rumgekriegt?«
    »Nein. Hab meine Lektion gelernt.« Er nahm den Kopfhörer und hielt ihn aufgespreizt über die Ohren. »Bleib nicht so lang. Sie hat jetzt das Kind.«
    »Ja, ist mir auch aufgefallen.«
    Floyd ließ den Kopfhörer auf die Ohren schnappen und winkte Ree davon.
    Gail stand in der Küche, Ned an die Brust gedrückt. Sie hatte schmale Hüften und Glieder, scharfe, kluge Gesichtszüge. Ihr langes Haar war glatt und leicht rötlich, espasste zu den Sommersprossen auf Nase und Wangen. Irgendwie hatte ihr dürrer Körper das Baby hinter einem nur leicht rund werdenden Bauch versteckt gehalten, bis zum siebten Monat wirkte sie eher ein wenig aufgebläht, nicht wirklich schwanger. Noch immer schien sie überrascht von dieser plötzlichen Mutter-Ehefrau-Geschichte, und noch immer schien sie zu glauben, es könne genauso schnell vergehen, wie es gekommen war.
    Ree roch die Fettreste in der Pfanne und die Stoffwindeln, die in einer Waschschüssel einweichten. Sie sah dreckige Teller in der Spüle und Schweinefleisch für das Abendessen, das auf der Anrichte auftaute und ein rosafarbenes Rinnsal absonderte. Sie schlang ihre Arme um Gail, das Baby zwischen ihnen, und küsste sie auf die Wange, die Nase, die andere Wange. »Ach, Liebes, was für ’n Scheiß«, sagte sie.
    »Fang ja nicht damit an.«
    Ree fuhr mit den Fingern durch Gails Haar, zog die langen Strähnen auseinander und zupfte daran herum, zupfte sanft und oft.
    »Liebes, du hast da Kletten.«
    »Immer noch?«
    »Jedenfalls sehe ich welche.«
    Das Baby machte eine Schreipause, um sich zu erholen und zu sabbern, und Gail trug es den schmalen Flur entlang ins Schlafzimmer. Ree folgte ihr. Große, in Folie eingeschweißte Poster von glänzenden Rennwagen hingen an den Wänden. Ein riesiger Bierhumpen mit Pennys stand auf der Kommode. Das Bett war ein ungemachterBerg aus gelben Laken und Flickendecken. Gail legte Ned aufs Bett, setzte sich neben ihn und meinte: »Ist schon eine Weile her.« Sie ließ sich rücklings neben das Baby aufs Bett sinken, die Arme weit ausgebreitet, die Füße auf dem Boden. »Kommt mir so vor, als wäre es zu traurig, mich zu besuchen.«
    »Das ist nur die halbe Wahrheit.«
    »Und der Rest?«
    »Ach, da kommt so einiges zusammen.«
    »Dann rede mit mir.«
    Ree setzte sich auf einen Holzstuhl und legte sich Gails Füße auf den Schoß. Sie beugte sich vor, schloss die Augen, rieb mit den Händen über Gails Waden und Knöchel und erzählte von Dad und dem Gesetz, Dad und dem Haus, von ihr und den Jungs und Beelzebubs Fiedel. Das trübe Licht vor dem Fenster wurde düster und dann wieder trübe, Floyd sang ab und zu den Refrain mit, der aus seinen Kopfhörern kam, grölte Thrashtexte ohne Musik, die Rees Worte begleiteten. Ree rieb mit Eifer, bis sie genug erzählt hatte.
    »Reid’s Gap? Wo genau ist das?«
    »Hinter Dorta, in Arkansas. Sie ist Kindergärtnerin.«
    »Ich muss ihn fragen. Er hat die Schlüssel.«
    »Sag ihm, ich kann das Benzin bezahlen.«
    Gail rollte sich vom Bett, kam auf die Füße und ging zu der leiernden Stimme hinüber. Sie war nur einen Augenblick fort. Als sie zu Ree zurückkam, meinte sie: »Er lässt mich nicht fahren.«
    »Hast du ihm gesagt, ich bezahl das Benzin?«
    »Hab ich. Er lässt mich trotzdem nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Er sagt mir nie, warum. Er sagt einfach nur Nein.«
    »Ach, Liebes.« Ree
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