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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Rainer Maria Rilke
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fürchten, daß unsere Kraft nicht hinreichte, irgend eine, und sei es die nächste und sei es die schrecklichste, Todeserfahrung zu ertragen; der Tod ist nicht über unsere Kraft, er ist der Maßstrich am Rande des Gefäßes: wir sind voll , sooft wir ihn erreichen – und Voll-sein heißt (für uns) Schwer-sein … das ist Alles. – Ich will nicht sagen, daß man den Tod lieben soll; aber man soll das Leben so großmütig, so ohne Rechnen und Auswählen lieben, daß man unwillkürlich ihn (des Lebens abgekehrte Hälfte) immerfort mit ein-bezieht, ihn mit-liebt, – was ja auch tatsächlich in den großen Bewegungen der Liebe, die unaufhaltsam sind und unabgrenzbar, jedesmal geschieht! Nur weil wir den Tod ausschließen in einer plötzlichen Besinnung, ist er mehr und mehr zum Fremden geworden, und da wir ihn im Fremden hielten, ein Feindliches.
    Es wäre denkbar, daß er uns unendlich viel näher steht, als das Leben selbst … Was wissen wir davon?! Unser ef
fort (dies ist mir immer deutlicher geworden mit den Jahren, und meine Arbeit hat vielleicht nur noch den einen Sinn und Auftrag, von dieser Einsicht, die mich so oft unerwartet überwältigt, immer unparteiischer und unabhängiger … seherischer vielleicht, wenn das nicht zu stolz klingt … Zeugnis abzulegen), … unser effort, mein ich, kann nur dahin gehen, die Einheit von Leben und Tod vorauszusetzen, damit sie sich uns nach und nach erweise. Voreingenommen, wie wir es gegen den Tod sind, kommen wir nicht dazu, ihn aus seinen Entstellungen zu lösen … glauben Sie nur, liebe Gnädigste Gräfin, daß er ein Freund ist, unser tiefster, vielleicht der einzige, durch unser Verhalten und Schwanken niemals, niemals beirrbare Freund … und das , versteht sich, nicht in jenem sentimentalisch-romantischen Sinn der Lebensabsage, des Lebens-Gegenteils, sondern unser Freund, gerade dann , wenn wir dem Hier-Sein, dem Wirken, der Natur, der Liebe … am leidenschaftlichsten, am erschüttertsten zustimmen. Das Leben sagt immer zugleich: Ja und Nein. Er, der Tod (ich beschwöre Sie, es zu glauben!) ist der eigentliche Ja-Sager. Er sagt nur : Ja. Vor der Ewigkeit.
    Sizzo (6. 1. 1923), 49-55
    Das erste, was ich hier vernahm war der Tod Gerhart Ouckama Knoop's, den wiederzusehen, immer eine gute Seite meiner münchner Tage war; die Toten dieses Jahres sind so viele, aber ich glaube fast, ich kann Verlust nicht mehr fühlen, selbst in diesem Entgehen liegt ja nur ein eigener Zuwachs an Bezug, an Erfahrung, an Freundschaft, und das argloseste Gefühl käme darauf, sich zu freuen, daß es nun so große Kreise ins Unbekannte hinein beschreiben darf.
    Taxis I (15. 9. 1913), 317 f.
    Todes-Erfahrung
    Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das
nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,
Bewunderung und Liebe oder Hass
dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund
    tragischer Klage wunderlich entstellt.
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.
    Doch als du gingst, da brach in diese Bühne
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt
durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.
    Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes
hersagend und Gebärden dann und wann
aufhebend; aber dein von uns entferntes,
aus unserm Stück entrücktes Dasein kann
    uns manchmal überkommen, wie ein Wissen
von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,
so daß wir eine Weile hingerissen
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.
    Werke I , 518 f.
    Requiem für eine Freundin
    (Paula Modersohn-Becker)
    Ich habe Tote, und ich ließ sie hin
und war erstaunt, sie so getrost zu sehn,
so rasch zuhaus im Totsein, so gerecht,
so anders als ihr Ruf. Nur du, du kehrst
zurück; du streifst mich, du gehst um, du willst
an etwas stoßen, daß es klingt von dir
und dich verrät. O nimm mir nicht, was ich
langsam erlern. Ich habe recht; du irrst
wenn du gerührt zu irgend einem Ding
ein Heimweh hast. Wir wandeln dieses um;
es ist nicht hier, wir spiegeln es herein
aus unserm Sein, sobald wir es erkennen.
 Ich glaubte dich viel weiter. Mich verwirrts,
daß du gerade irrst und kommst, die mehr
verwandelt hat als irgend eine Frau.
Daß wir erschraken, da du starbst, nein, daß
dein starker Tod
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