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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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vorderhand noch voller Rätsel. Und in diesem Augenblicke empfand ich ein derartiges Unbehagen.
    Ich wandte mich rasch um – in meiner unmittelbaren Nähe befand sich niemand.
    Die Empfindung war eine so lebhafte, überzeugende gewesen, daß ich einige Minuten ganz verblüfft dastand, als ich konstatierte, daß ich ganz allein sei. Aber schließlich mußte ich den augenscheinlichen Beweis gelten lassen, daß mich mehr als zehn Klafter von meinen mir am nächsten stehenden Reisegenossen trennten.
    Ich lachte mich selbst ob meiner ungeschickten Nervosität aus, nahm meine frühere Stellung wieder ein und hätte gewiß diesen nebensächlichen Zwischenfall bald vergessen, wenn nicht spätere Vorkommnisse, deren Eintreffen ich nicht ahnen konnte, dafür Sorge getragen hätten, daß er auf immer meinem Gedächtnis einverleibt blieb.
    Jedenfalls dachte ich für den Augenblick nicht mehr daran; meine Aufmerksamkeit wurde wieder von der Pußta gefesselt, die mit ihren merkwürdigen Luftspiegelungen, ihren weiten Ebenen, ihren grünenden Weiden, ihren Kulturen – die in der Nähe von Städten reichlicher zutage traten – still und friedlich vor mir lag. Der Strom war immer noch von Reihen niederer, mit Weiden bewachsener Inselchen geziert, deren Häupter wie große, grau-grüne Büschel aus dem Wasser ragten.
    Am 7. Mai legten wir, immer den vielfachen Windungen des Flusses folgend, bei bewölktem Himmel, der uns mit mehr feuchten, als trockenen Stunden bedachte, fast zwanzig Meilen zurück. Als der Abend anbrach, blieb man für die Nacht zwischen Duna-Pentele und Duna-Földvar stehen. Der folgende Tag brachte keine Abwechslung; diesmal machte man ungefähr zehn Meilen unterhalb Batta halt.
    Am 9. Mai hatte sich der Himmel aufgehellt, man trat die Tagesfahrt mit der Gewißheit an, kurz nach Sonnenuntergang in Mohács einzutreffen.
    Als ich gegen 9 Uhr in das Deckhaus treten wollte, fügte es der Zufall, daß der deutsche Passagier gerade herauskam. Fast wären wir zusammengestoßen und bei der Gelegenheit erstaunte ich über den eigentümlichen Blick, den er mir zuwarf. Es war das erstemal, daß wir uns in der Nähe sahen und trotzdem wollte mir scheinen, daß in diesem seltsamen Blick nicht Frechheit allein, sondern – aber ich mußte mich irren – auch Haß zu lesen war.
    Was wollte dieser Mensch von mir? Haßte er mich bloß aus dem Grunde, weil ich Franzose war? Der Gedanke lag nahe, daß er meinen Namen auf dem Deckel des Koffers oder auf der Platte meiner Reisetasche, die auf einer Bank des Deckhauses stand, gelesen hatte.
    Mochte er immerhin meinen Namen wissen! Ich verspürte keine Neugierde, den seinigen kennen zu lernen; seine Persönlichkeit war mir zu wenig interessant.
    Die »Dorothea« legte in Mohács an, aber es war schon zu dunkel, als daß ich von dieser bedeutenden Stadt etwas anderes als zwei Kirchturmspitzen erblicken konnte, die sich aus einer von den Schatten der Nacht bereits verschlungenen schwarzen Masse abhoben. Trotzdem ging ich ans Land, kehrte aber nach einem einstündigen Rundgang wieder an Bord zurück.

    Neue Passagiere schifften sich ein und am 10. Mai wurde mit Tagesgrauen weitergefahren.
    Während dieses Tages begegnete mir das fragliche Individuum mehrmals auf Deck und blickte mich dabei auf eine Art und Weise an, die mir ganz ernstlich zu mißfallen begann. Es ist durchaus nicht meine Gewohnheit, mit fremden Leuten einen Streit vom Zaune zu brechen, aber ich liebe es nicht, daß man mich mit dieser hartnäckigen Ungezogenheit anstarrt. Wenn er etwas zu sagen hatte, warum sagte mir es dieser freche Mensch denn nicht? In einem solchen Falle spricht man aber nicht mit Blicken, und wenn er der französischen Sprache unkundig war, hätte ich ihm recht gut auf deutsch Antwort geben können.
    Aber wenn ich schon den Deutschen zur Rechenschaft ziehen wollte, war es besser, vorher einige Erkundigungen über seine Person einzuziehen.
    Ich näherte mich dem Schiffsherrn und fragte ihn, ob er diesen Passagier zufällig näher kenne.
    »Ich sehe ihn zum erstenmal, antwortete er mir.
    – Er ist wohl ein Deutscher? fuhr ich fort.
    – Zweifelsohne, Herr Vidal; ich glaube sogar, er ist es doppelt: denn er muß ein Preuße sein.
    – O weh! Und es ist schon an dem einen zu viel«, rief ich. Die Antwort war – wie ich gern eingestehe – wenig eines gebildeten Menschen würdig; aber dem Schiffseigentümer, welcher ungarischer Abstammung war, schien sie sehr zu gefallen.
    Am Nachmittage erreichten wir
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