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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar
Autoren: Joe Schreiber
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sind.«
    »Meine Liste ist noch nicht komplett.«
    »Nein, Gobi. Du bist krank. Du hast einen Tumor im Gehirn. Du kannst nicht klar denken. Wie im Zug.«
    » Au revoir .«
    »Gobi.« Ich hielt die Hände hoch. »Du musst das nicht mehr tun. As tave myliu. «
    Etwas in ihren Augen veränderte sich, nicht viel, womöglich nur ein subtiler Lichtreflex, der sich in ihren Pupillen spiegelte. Dann küsste ich sie einfach, ohne an die Pistole zu denken, die sie nach wie vor unter mein Kinn geklemmt hielt. Ihr Mund fühlte sich so kalt wie der metallene Lauf auf meiner Haut an, ihre Lippen öffneten sich und küssten mich, die überraschende Wärme ihrer Zunge, die sich salzig und süß in meinen Mund und gegen meine Zunge schob. Die Pistole war immer noch da, bohrte sich unangenehm in meinen Unterkiefer.
    »Wo hast du gelernt, ›ich liebe dich‹ auf Litauisch zu sagen?«, fragte sie.
    »Erich.«
    »Bist du immer noch eifersüchtig auf ihn?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Sie legte die Lippen an mein Ohr. »Rue Turenne 66«, murmelte sie. »Ist eine Autogarage. Sie sind ganz hinten.«
    »Danke.«
    »Und … Perry?«
    »Ja?«
    »Es tut mir leid.«
    »Wa-«
    Sie nahm die Pistole von meinem Kopf weg und hielt sie an den eigenen, drückte den Lauf gegen ihre Schläfe. Zu spät erkannte ich, wie alles enden würde.
    »Gobi, nein!«
    Sie drückte ab.
    Nichts passierte.
    Ich starrte sie an. Sie sah mich an.
    »Noch gesichert«, sagte ich. »Du hast vergessen –«
    Dann flog von irgendwo hinter mir eine dunkle Gestalt heran, prallte gegen Gobi und warf sie auf den Boden der Plattform.
    *
    Als ich mich aufsetzte, sah ich Gobi auf dem Rücken liegen, wie sie sich zur Seite drehte und mit der dunkel gekleideten Gestalt rang, die auf ihr saß. Einer der Gendarmen war aus der Reihe ausgebrochen, in den Regen hinausgesprungen und hatte sie umgerissen.
    Gobi rollte sich zur Seite, krümmte sich zusammen und trat dem Gendarmen so fest ins Gesicht, dass er sich um hundertachtzig Grad drehte und ihm der Helm vom Kopf flog. Darunter kam ein Schopf blonder Haare zum Vorschein.
    Paula.
    In weniger als einer Sekunde hatte Paula ihr Gleichgewicht wiedergefunden, sich von dem Tritt erholt und griff jetzt in die Uniform, um eine Automatik zu ziehen. Sie hielt sie auf die vorgeschriebene Weise mit beiden Händen und richtete sie auf Gobi.
    »Paula«, sagte ich.
    Sie warf einen kurzen Blick auf die Gendarmen hinter uns. »Heute Abend habe ich euer Leben zurückgekauft – oder zumindest ein paar zusätzliche Sekunden gemietet.«
    »Was soll das heißen?«
    »Als die Berichte im Polizeifunk kamen, bin ich so schnell wie möglich hierhergekommen.« Ihre Augen zuckten wieder kurz zu dem Trupp Gendarmen auf der anderen Seite der Plattform, dann griff Paula in ihre Jacke und zog eine laminierte Dienstmarke an einem Umhängeband hervor. »Sondereinheit zur Verhandlung mit Geiselnehmern, Interpol.«
    »Sehr realistisch«, erwiderte ich.
    »Kommt manchmal ganz gelegen. Die Polizei hat Anweisung, sich zurückzuhalten, ehe ich etwas anderes befehle.«
    Ich versuchte zu lächeln. Es tat nicht allzu weh. »Ich wusste nicht, dass ich dir noch was bedeute.«
    »Du bist süß.« Paula atmete die Nachtluft tief ein. »Aber verpeilt wie immer.« Sie machte einen Schritt auf Gobi zu. »Zusane. Weißt du, ehe mein Vater starb, sagte er zu mir: ›Lass sie leiden.‹ Das habe ich ihm versprochen.« Paula betrachtete sie mit einem Mitleid, das an Ekel grenzte. »Aber … sieh dich nur an. Herrgott noch mal. Du bist jetzt schon halb tot. Du kannst nicht mal mehr gerade stehen. Der Krebs hat dich aufgefressen. In diesem Stadium wäre alles, was ich dir antue, der reinste Gnadenakt.«
    Gobi sagte immer noch nichts. Paula hielt die Pistole auf sie gerichtet und schaute nach Südosten, auf den langen unbebauten Rasenstreifen, der sich in Richtung des Tour Montparnasse erstreckte. »Weißt du, was das ist? Das Champ de Mars.« Sie sah Gobi an. »Benannt nach dem Gott des Krieges.«
    »Dann sollten sie uns beide dort begraben«, sagte Gobi.
    Paula schüttelte wieder den Kopf. »Nur dich.«
    Ich hob die Hand. »Paula –«
    Paula drückte ab.
    *
    Der erste Schuss erwischte Gobi in die Brust, der zweite in den Bauch, was sie mit der Wucht eines Gewehrtreffers nach hinten gegen das Geländer warf. Sie gab keinen Laut von sich, ihr Gesicht verriet nichts von dem, was sie in diesem Augenblick gefühlt haben musste. Als würde sie den Schmerz einfach nur sehr weit weg
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