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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Maike Maja Nowak
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ihn ausbremste. Ich verstecke die Wurst und rufe: »Okay, schnapp es dir, Junge.«
    In Henrys Augen scheint plötzlich eine Tür aufzuspringen. Ein angedeutetes Grinsen bricht daraus hervor. Er holt sich das Futter, setzt sich neben mich und blickt mich mit sanften dunklen Augen an. Von diesem Moment an weiß ich, dass dieser Hund alles kann. Auch, sich in einem ganz neuen Leben zurechtzufinden. Wenn das Leben zu ihm passt.
    Ich blicke zu dem Ehepaar auf seinem Beobachtungsposten hinter der Fensterscheibe und winke den beiden alten Leuten auffordernd zu. Ihre Köpfe verschwinden. Henry hat noch viel Zeit, Wurststücke zu suchen, ehe die Haustür sich öffnet – eine winterliche Vermummungsaktion braucht ihre Zeit.
    »Ja, aber mit Leckerlis locken, das können wir auch«, ruft der Mann, als er den Garten betritt.
    »Also Kurt! Ich fand es sehr schön, dass Henry mal mitgemacht hat. Das hat er doch noch nie gemacht!«, beschwichtigt seine Frau.
    Henry legt die Ohren nach hinten. Es wirkt, als wolle er sie vor der Lautstärke des Ehepaares verschließen.
    »Quatsch, wir haben es nur noch nie so probiert. Sicher nimmt er es einfach nicht aus der Hand, sondern man muss es irgendwo hinlegen.« Die Stimme des Mannes wird energischer. Ich kann nicht anders, als Henry ein Stück Wurst hinzuhalten. Er nimmt es sehr sanft aus meiner Hand.
    »Siehst du, er hat es auch aus der Hand genommen!«, ruft die Frau aufgeregt. Beide haben uns erreicht.
    »Geben Sie mir mal was her«, verlangt der alte Herr forsch. Als er auf mich zutritt, weicht Henry einen Schritt zurück.
    »Bitte.« Ich reiche einige Wurststückchen in die Lederhandschuhhand, die sich mir entgegenstreckt.
    Der Mann beugt sich nach vorn und nimmt den Hund ins Visier. »Henry! Hierher!« Henry gähnt ruckartig und in einem sehr tiefen leisen Ton. Dann entfernt er sich langsam und mit hängendem Kopf. Der Mann öffnet den Mund, ohne dass dieses Mal ein Laut herauskäme.
    »Aber warum findet er das denn jetzt plötzlich langweilig? Er hat das doch gern gefressen«, wundert sich die Frau.
    »Er langweilt sich nicht. Das Gähnen ist ein Versuch, Stress abzubauen. Ich habe Henry ja eben ein wenig kennenlernen dürfen. Sie haben einen Hund, der weder Lautstärke noch Druck mag. Die gute Nachricht dabei ist, Sie dürfen mit ihm ganz leise sein. Wollen Sie es einmal probieren?«, frage ich, an die Frau gewandt.
    »Ich? Um die Erziehung hat sich bisher mein Mann gekümmert. Ich habe auch etwas Angst vor Henry. Er hat mich schon angeknurrt, wenn ich ihm das Halsband ummachen wollte.«
    Ich strecke ihr eine Hand mit Wurst hin: »Sie können Ihre Chance nutzen, die Angst loszuwerden. Dieser Hund ist ganz und gar nicht aggressiv. Er verbittet es sich nur, wenn jemand ihm etwas aufzwingt, was er nicht möchte. Und auch das tut er angemessen. Wenn er Sie hätte beißen wollen, hätte er es getan und nicht nur geknurrt; wenn er den Trainer hätte verletzen wollen, hätte er es trotz Elektroschock getan und nicht nur einen Warnschnapper abgegeben. Er ist ein ruhiger Leithund. Mit so einem Hund müssen Sie kooperieren lernen, nicht kämpfen. Den Kampf würden Sie immer nur verlieren. Und der Hund würde auch etwas verlieren. Nämlich sein freundliches Wesen. Sie würden ihn dazu zwingen.«
    »Wir zwingen den doch nicht zu beißen«, sagt der Mann, nach Luft schnappend.
    »Lass doch die Frau Nowak mal zu Ende reden, Kurt. Ich finde das sehr interessant«, erwidert die alte Dame und widerspricht damit zum ersten Mal ihrem Mann.
    »In diesem direkten Sinne zwingen Sie ihn natürlich nicht«, gebe ich ihm Recht. »Sie können einen Hund jedoch nicht führen, wenn Sie ärgerlich und ungehalten mit ihm umgehen. Das legt er Ihnen als Schwäche aus. Er selbst«, ich weise auf Henry, der wieder zur Schneestatue erstarrt ist, »verliert seine Stärke nicht und bleibt ruhig, auch wenn Sie ihn anschreien. Man kann viel von diesem Hund über Führung lernen.«
    »Also jetzt passen Sie mal auf. Wir haben Sie nicht geholt, damit wir was von ihm lernen.« Der alte Herr betont das »wir« und das »ihm« auf sehr nachdrückliche Weise.
    Die alte Dame verschwindet hinter seinem Rücken, verdreht von ihrem Mann ungesehen die Augen und bewegt beide Hände in kurzen Stößen nach unten. Was heißen könnte: »Nehmen Sie es nicht krumm, aber Kritik verträgt er gar nicht, besser Sie hören damit auf.«
    »Ich habe immer Hunde gehabt, und ich habe eine Firma geleitet. Verstehen Sie? Ich muss nichts lernen. Er
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