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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
Autoren: Maike Maja Nowak
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Hundebesitzerin tippt sich mit dem Zeigefinger an den Kopf, und man sieht, dass sie gern etwas tun würde, aber nicht weiß, was. Dann verschwindet sie aus dem Bild.
    Der Herdenschutzhund bleibt plötzlich heftig atmend stehen und blickt den Trainer mit einer eindeutig ernst gemeinten Drohung an. Der Trainer zerrt ihn an der Leine weiter. Henry sperrt sich und warnt mit seinem Blick ein letztes Mal. Der Mann ignoriert auch diese Möglichkeit, sein Tun zu beenden und will weitergehen. Daraufhin schnappt ihn der Hund mit einem Warnbiss in den Arm.
    Das Gesicht des Mannes färbt sich weiß. Es hat den Ausdruck äußerster Wut angenommen, die in großem Gegensatz zur Ruhe und dem der Situation immer noch angemessenen Verhalten des Hundes steht.
    Den Warnbiss quittiert er mit einem dreimaligen Drücken auf die Fernbedienung. In Henrys Schreie mischt sich nun ein dunkler gefährlicher Ton. Beim nächsten entgegenkommenden Hund geht er trotz Halsbandbestrafung nach vorn und bellt tief. Drei Hunde später, während derer sich Henry immer aufgebrachter gebärdet, gibt der Trainer auf: »Ich würde ihn einschläfern lassen. Der ist eine Waffe auf vier Beinen, die Sie niemals kontrollieren können«, ruft er mit noch immer zornweißem Gesicht.
    »Sie können ausmachen, bitte«, bringe ich leise hervor. Gern würde ich mich auf den lachsfarbenen Hochflorteppich übergeben, um meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, aber um mich geht es hier nicht. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, wie ich dem Hund helfen könnte, um der Situation zu entkommen.
    »Können Sie mir bitte das Halsband zeigen?«
    Die alte Dame erhebt sich und kramt in einem Fach in der Schrankwand. »Hier ist es, aber wir nehmen es nicht mehr, weil es ja nur alles schlimmer gemacht hat«, erklärt sie beschwichtigend. Ich halte das Ding in den Händen und sehe wie erwartet Elektroden, die aus der kleinen Box am Halsband schauen und am Hals ihre Wirkung tun.
    »Sie wissen, dass dies kein Vibrationshalsband, sondern ein Elektrohalsband ist, aus dem Elektroschocks gesendet werden, und dass es auf Stufe 15 eingestellt ist, also auf die stärkste Stufe, die es überhaupt gibt?« Die beiden älteren Herrschaften blicken betroffen auf das Halsband. Sie wirken jedoch nicht wirklich überrascht. Eher unangenehm berührt von einer Tatsache, die sie vielleicht selbst vermuteten oder von der sie wussten.
    »Darf ich einem von Ihnen einmal das Halsband ans Handgelenk machen?« Beide lehnen sich erschrocken zurück.
    »Ein solches Mittel zu verwenden bedeutet, das Vertrauen eines Hundes zu verspielen. Wie soll ein Wesen Ihnen vertrauen, wenn Sie ihm solche Schmerzen zufügen? Und noch dazu in einem Moment, in dem er etwas ganz Normales tut. Ich habe hier einen Hund gesehen, der sich für andere Hunde interessierte. Da ihn die Leine und ein wildfremder Mensch daran hinderten, zu den Hunden Kontakt aufzunehmen, hat er gezogen, um dorthin zu kommen. Dafür wurde er bestraft.
    Stellen Sie sich vor, Sie würden einen Waldweg entlanggehen. Plötzlich kommt Ihnen ein Mensch entgegen. Sie wollen einen Blick auf ihn werfen, um festzustellen, was er für Absichten signalisiert. Sie lächeln, um Ihre eigene friedvolle Haltung auszudrücken, und in genau diesem Moment bekommen Sie einen elektrischen Schlag. Sie erschrecken sehr, glauben aber vielleicht noch an einen Zufall. Dann kommt der nächste Spaziergänger Ihnen entgegen, und Sie erhalten den nächsten Schlag. Wie viele Menschen bräuchte es, bis Sie Menschen fürchten, die Ihren Weg kreuzen? So ist es Henry ergangen.«
    Die alte Dame blickt mich mit schreckgeweiteten Augen an: »Aber das muss der Trainer doch gewusst haben?«
    Ich hebe die Achseln.
    »Ja, aber er hat gesagt, dass es bei der Größe von Henry nicht anders geht«, protestiert der Mann.
    Schweigen. Der Mann verschränkt die Arme vor der Brust. Die Frau wischt sich nervös mit der rechten über die linke Hand.
    »Durch den Schmerz, der Henry immer dann zugefügt wurde, wenn ein anderer Hund auftauchte, wurde der andere Hund in Henrys Vorstellung offenbar zum Auslöser dieses Schmerzes gemacht. Verständlich, dass er diesen Auslöser nicht mehr in seiner Nähe haben wollte und ihn nun inzwischen mit Drohgebärden von sich fernzuhalten sucht.«
    Der Mann lehnt sich weit zurück, und seine ganze Körper haltung drückt Distanz zu meiner Zusammenfassung aus. Die Frau wirkt unentschieden. Sie scheint meiner Wahrnehmung folgen zu können, sie aber nicht zulassen zu
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