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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde
Autoren: Elisa Klapheck
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Düsseldorf schweigen wir beide.
     
    Als die Universitätsbehörde meine Abschlüsse nicht anerkennt, fahre ich nach Hamburg, gehe zum Leiter des Instituts für Politische Wissenschaft und nötige ihm eine Unterschrift ab, die alle niederländischen Zeugnisse nachträglich anerkennt. Innerhalb weniger Tage finde ich das Zimmer in der WG.   Zusammen mit Lilo hole ich meine Sachen aus ihrem Haus bei Nimwegen ab. Anschließend fährt sie mich nach Hamburg.
     
    Sollte ich vielleicht etwas anderes als Politologie studieren? Zusätzlich studiere ich jetzt in Hamburg noch Jura. Schnell stelle ich fest, dass mich eigentlich nur die hinter der Jurisprudenz stehenden Ideen von angewandter Ethik und Moral interessieren, nicht aber die einzelnen Fälle von Rechtsstreitigkeiten, die man mit Hilfe von Paragraphen in den Klausuren lösen muss. Ich versuche es vorübergehend mit Philosophie, dannGeschichte, zwischenzeitlich auch mal Anthropologie und Ethnologie. Jedes Mal erkenne ich, dass Politologie die richtige Wahl ist. Aber was ich lerne, vermag ich nicht anzuwenden. Etwas »fehlt«. Die Themen interessieren mich. Doch keine der politologischen Schulen, keine der politischen Theorien und Begriffe verankern sich in mir zu einem geistigen Fundament, auf dem ich eigenständig weiterdenken würde. Nichts kommt mir überzeugend über die Lippen. Alles hört sich angelernt und entsprechend unsicher an. Ich habe aber auch kein anderes Instrumentarium, um mich politologisch auszudrücken.
    Im ersten Jahr in Hamburg wirkt ein psychischer Dominoeffekt, bei dem sich alles, was ich studiere, irgendwann in ein bezugloses Nichts verirrt. Fast verzweifle ich daran, wenn ich nicht gleichzeitig einen sich immer wieder entzündenden Drang spüre, etwas zu artikulieren, ohne ihm jedoch schon Worte geben zu können. Manchmal blitzt etwas auf, zum Beispiel als ich von Konrad Lorenz
Das sogenannte Böse
lese. Mich befällt ein ungeduldiger Drang, die sich plötzlich turbulent bemerkbar machenden geistigen Regungen auszudrücken. Ich versuche es aufzuschreiben. Aber es entstehen nur Fragmente von Sätzen.
    Es liegt teilweise am Tenor der meisten Diskussionen in den Seminaren – dem »kritischen Ansatz«. Er delegitimiert die »Herrschenden« und das »System«. Die Bösen sind danach die »Starken« und »Mächtigen«, die Guten hingegen die »Schwachen« und »Ohnmächtigen«. Ich kann nicht genau sagen, was mir daran nicht behagt. Im Prinzip müsste ich zustimmen. Stattdessen wirkt mein mich bezuglos machender geistiger Dominoeffekt fort. Selbst wenn es um das N S-Regime und die deutsche Nachkriegszeit geht, werden mir die Studenten nicht dadurch näher, dass sie minutiös die Schuld der Deutschen zerlegen und die ältere Generation bezichtigen, die Verbrechen zu verdrängen. Die für mich wichtige Frage ist nicht: Wie zerlegt man Macht und Überlegenheit? Sondern umgekehrt: Wie baut man sie auf?! Gerade wenn man aus dem Kreise der »Machtlosen« kommt. Doch diese Frage ist politisch nicht korrekt.
    Noch in Nimwegen hat mich die unheimliche, vernichtende Schlagkraft eines hochbegabten Kommilitonen berührt, der das rücksichtslose Weltbild der Gewinner, das ich noch vom Internat her kenne, politologisch unterbaut. Keiner vermag diesem Studenten – über intuitive Ablehnung hinaus – etwas entgegenzusetzen. Meine erotische Begegnung mit ihm ist für mich psychisch folgenreich. Meine israelische Freundin Michal, der ich davon erzähle, weiß sofort, wovon ich rede. Wir teilen das Wissen, dass man nicht »deutsch« und auch nicht »Nazi« sein muss, um ein Nazi zu sein. Für Michals Mutter in Israel, auch sie eine Überlebende der
Schoa
, ist es eine unbegreifliche Schande, dass ihre Tochter jetzt in Deutschland lebt. Auch Lilo hätte mich lieber in einem anderen Land gewusst. Aber Michals »nazi guy« ist Engländer, meiner Niederländer. Michals »nazi guy« ist ein linksradikaler Anarchist, meiner ein radikal-elitärer Liberaler.
    Michal gestehe ich meine verbotenen, politisch unkorrekten Gedanken: Woher wissen wir, dass die Nazis im »Unrecht« gewesen sind? Was definiert »Recht« und »Unrecht«? Beruht nicht alles auf Ideologie? Und ist nicht jede Ideologie willkürlich und damit moralisch wertfrei? Misst sich nicht jede Ideologie daran, ob sie »funktioniert«? Die Nazis haben den Zweiten Weltkrieg verloren, sie sind an der von ihnen geschaffenen Wirklichkeit des »Totalen Krieges« gescheitert. Vielleicht hätte sich ihre Ideologie ohne
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