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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr
Autoren: Bernard Beckett
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Telefonnummer wählen, reden, eine vertraute Stimme hören und einfach alles stehen und liegen lassen. Ich ging durch die große Glastür, als wäre ich überhaupt kein Patient, sondern irgendein Typ, der die Stromleitungen überprüft und zufällig einen Krankenhauspyjama trägt. Am verwaisten Empfangsschalter und am Aufzug neben dem Treppenhaus vorbei. Obwohl ich genau wusste, wie gefährlich mein Verhalten war, fühlte ich mich mit jedem verbotenen Schritt leichter. Aber viel weiter kam ich nicht. Das Schicksal ließ mich nicht gehen.
    Ich kam zu einer interessant aussehenden Tür, in der sich ein kleines Glasfenster befand. Als ich durchsah, konnte ich kaum etwas erkennen, weil der Raum dahinter nur schwach beleuchtet war. Verwundert stellte ich fest, dass sie unverschlossen war, und ging durch einen kurzen dunklen Korridor, bis ich vor einer unverputzten Betonwand stand. Ich stand einfach nur da und atmete den feuchten, muffigen Geruch ein, während ich mir vorstellte, irgendwo anders zu sein. Nirgendwo zu sein. Einen kurzen Moment lang entspannte ich mich.
    Von dem Gang gingen noch zwei weitere Türen ab. Auf einer Tür stand »Putzraum«. Sie war verschlossen. Auf der anderen stand »Heizung«. Als ich sie öffnete, stand ich hier in diesem Raum. Es ist kein richtiger Heizungskeller, sondern nur ein Raum, in dem sich die Ventile und Schalter für die Heizung in diesem Teil des Krankenhauses befinden. Ein kleiner, stickiger Raum, der gerade groß genug ist, dass sich jemand, der nach der Heizung sieht, darin bewegen kann. Mit einem Klappstuhl drin. Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der sich hierher verzieht. Der Raum erinnert mich an einen Schrank bei uns zu Hause, in dem ich mich als Kind immer verkrochen und gemalt habe. Das hat mich auf die Idee mit dem Schreiben gebracht. Ich hatte gesehen, dass im Wartezimmer ein Notizbuch lag, und kehrte zurück, um es zu holen. Nachdem ich im Empfangsbereich einen Kugelschreiber aufgetrieben hatte, verbarg ich beides unter meiner Pyjamajacke und kam hierher zurück. Ich bin mir sicher, dass mich keiner gesehen hat.
    Sobald ich mit Schreiben angefangen hatte, flossen die Worte nur so aus mir heraus. Ein Schwall voller Erinnerungen und Erleichterung. Alles aufzuschreiben wird mir helfen, nicht den Verstand zu verlieren, solange ich hier ausharren und seinen Tod planen muss. Und es wird mir helfen, meine Erinnerungen zu ordnen, die immer noch verschwommen sind. Weil die Medikamente sie zu Matsch gemacht haben.
    Und es gibt noch einen Grund, warum ich all das aufschreibe. Das ist mein Beweismaterial, falls mein Plan misslingt. Ich werde an meine Schule einen Brief mit meinem Namen drauf schreiben. Sollte ich nicht mehr zurückkehren, wird hoffentlich jemand den Brief öffnen. In dem Brief wird stehen, wo ich die Notizen versteckt habe. In dem Hohlraum, der sich hinter einer Platte in der Wand befindet. Die Platte ist sehr schwer, aber man kann sie verschieben. Und dort verstecke ich das Notizbuch immer, wenn ich weggehe. Wenn ich alles aufschreibe, was passiert ist, dann besteht zumindest noch die Chance, dass die Welt erfährt, was er getan hat. Falls ich es nicht schaffe, ihn zu töten. Auch wenn das nur ein schwacher Trost wäre. Viel schlechter als die erste Möglichkeit. Und deshalb will ich jetzt gar nicht darüber nachdenken.
    Vielleicht sollte ich noch erzählen, dass ich nicht weiß, wie ich hierhergekommen bin. Ich erinnere mich an die fünf Tage nach dem Erdbeben draußen in den Bergen. Aber die gehören zu der Geschichte mit dem Arzt und deshalb werde ich sie an einer anderen Stelle aufschreiben. Eins nach dem anderen. An das, was danach passiert ist, habe ich so gut wie keine Erinnerung. Im Grunde kann ich nur raten. Jemand muss mich gefunden und ins Krankenhaus von Palmerston North gebracht haben, das einzige Krankenhaus in der Nähe, das noch stand. Ich war verletzt, erschöpft, dehydriert und stand wahrscheinlich unter Schock. Aber auf meiner Station liegen keine Patienten mit physischen Verletzungen. Wo ich liege, werden psychisch gestörte Patienten behandelt. Der Arzt muss mich gesehen haben, als sie mich brachten. Er muss überglücklich gewesen sein, dass ihm der einzige Zeuge seiner Tat auf diese Weise in die Hände fiel. Wahrscheinlich hat er irgendeine Ausrede erfunden, um mich hierher zu verlegen. Inmitten des Chaos war das bestimmt nicht schwer. Und dann hat er mir einen Medikamentenmix verschrieben, der mir den Verstand rauben sollte.
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