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Wie die Menschheit zur Sprache fand

Titel: Wie die Menschheit zur Sprache fand
Autoren: Dean Falk
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festzuklammern. Dort nuckelt er nach Belieben, während Mama auf allen vieren auf dem Erdboden umherspaziert oder sich durch die Baumwipfel schwingt. Abgesehen vom Menschen ist es für jedes Primatenjunge lebenswichtig, sich an der Mutter festhalten zu können, wie Jane Goodall an einem von ihr beobachteten Mutter-Kind-Beispiel belegt hat. Die Mutter, Madam Bee, hatte bereits erfolgreich zwei Säuglinge aufgezogen, als sie durch eine Polioinfektion teilweise gelähmt wurde. Fortan vermochte Madam Bee ihr jüngstes Neugeborenes Bee-hind unterwegs nicht mehr zu stützen, das deshalb wimmernd und schreiend klagte und wiederholt von seiner Mutter herunterfiel. Bee-hind starb im Alter von wenigen Monaten, ihr Körper war von Kratzern und Schürfwunden übersät. 1

    Für Menschenbabys ist Körperkontakt nicht minder wichtig. Um genauere Informationen über den Bedarf nach Nähe von Müttern und Kindern beim Menschen zu bekommen, habe ich Auskünfte von mehreren sehr jungen Informanten eingeholt. (Wenn Anthropologen es mit fremden Menschen und Orten zu tun bekommen, befragen sie gerne Personen aus dem fraglichen Kulturkreis). Eine meiner Informantinnen, Sisa Uzendoski, ist am 23. Juli 2003 geboren und die Tochter von Michael, einem Kulturanthropologen und Kollegen an der Florida State University, und Edith, einer Vollzeitmama, aufgewachsen in der Amazonasregion von Ecuador. Sisas Bettchen steht zwar neben dem Bett ihrer Eltern, erfuhr ich, aber einen Großteil der Nacht verbringt sie an die beiden gekuschelt. Sisa hat nie einen Schnuller gehabt und auch nie aus der Flasche getrunken. Wenn ihre Eltern sie mit zur Familie nach Ecuador nehmen, wird sie von 23 Cousinen und Cousins ersten Grades umsorgt. Und Sisa hat drei Sprachen gleichzeitig gelernt: Englisch, Spanisch und Quechua.
    Eine weitere Informantin, Josie Parkinson, ist etwa drei Monate nach Sisa geboren. Josie ist Chinesin, ihre amerikanischen Eltern, William und Betsy Parkinson, haben sie im November 2004 adoptiert. Betsy unterrichtet Erstklässler, und Bill ist Archäologe. Josie hat nie gelernt zu krabbeln, weil sie in dem Waisenhaus, in dem sie ihr erstes Lebensjahr verbracht hat, nie zum Krabbeln auf den Boden gesetzt wurde. Nach ihrer Adoption hat man das nachgeholt, und sie erfand prompt eine erstaunlich rasche und effiziente Art des Vorwärtskommens auf dem Hosenboden (sie konnte dabei sogar Dinge in der Hand halten). Da Betsy Gebärdensprache unterrichtet, hat Josie zwei Sprachen gelernt - Englisch und ASL (American Sign Language).
    Auch wenn Babys im Verlauf der Homininenentwicklung die Fähigkeit verloren haben, sich unterwegs selbständig an ihren Müttern festzuhalten, so verfügen unsere Kinder doch immer noch über ein tief verwurzeltes Verlangen nach engem Körperkontakt mit ihren Betreuungspersonen. 2 Josie begann mit
19 Monaten zu sprechen. Eines ihrer ersten Wörter war ein direkt an ihre Eltern gerichtetes, von hochgereckten Armen untermaltes »hoch«. Sie genoss es, mit ihrer Schmusedecke zu knuddeln, und ließ sich liebend gerne von ihrem Papa mit einem Schlaflied in den Schlummer wiegen. Sisa hat nie eine Schmusedecke oder ein anderes Kuschelspielzeug besessen, ebenso die vierjährige Claire, eine Tochter von anderen Freunden. Sisa hat jedoch noch lange bei ihrer Mutter getrunken, und Claire rief noch mit vier Jahren nachts nach ihren Eltern, die sie zu sich ins Bett holten und an die Mutter gekuschelt schlafen ließen. Obschon alle drei Kinder bei Tag keinen dauerhaften Körperkontakt zu ihrer Mutter hatten, scheint ihr Verlangen danach doch nicht minder ausgeprägt als das der unglücklichen Bee-hind. Das Bedürfnis nach ausdauerndem Körperkontakt ist bei Primaten so stark, dass es sogar bei unseren etwas entfernteren Verwandten, den Kleinaffen, anzutreffen ist. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Fähigkeit, sich an der Mutter festzuhalten, sehr tief im Erbe unserer Vorfahren verankert gewesen sein muss, was ihren Verlust bei uns Menschen nur umso bedeutsamer erscheinen lässt.

    Abbildung 3.1 Josie Parkinson (links) und Sisa Uzendoski (rechts) diskutieren die Finessen des Lesenlernens mit ihrem Freund Grant Gravlee.

Die Harlow-Experimente
    In einer berühmt gewordenen Versuchsreihe hat der Psychologe Harry Harlow in den 1950er- und 1960er-Jahren neugeborene Makaken isoliert in Käfigen gehalten, die er mit weichen Tüchern ausgepolstert hatte. Nahm
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