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Wie alles begann ... Die Geschichte eines Coming-Out (German Edition)

Wie alles begann ... Die Geschichte eines Coming-Out (German Edition)

Titel: Wie alles begann ... Die Geschichte eines Coming-Out (German Edition)
Autoren: Nik S. Martin
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stand im Rahmen.
    „Joshua!“, brüllte er voll Abscheu. „Wie kann man sich bloß von einem Kerl in den Arsch ficken lassen?“ Kopfschüttelnd betrachtete er seinen Sohn, der wie ein Häufchen Elend auf meinem Bett saß. Er traute sich gar nicht, seinen Alten anzusehen.
    „Raus, und zwar dalli. Nächste Woche sitzt du im Zug. Sag deinem Lover Leb Wohl!“, sagte er scharf.
    Wehmütig sah Josh mich an. Mir fehlten die Worte. Widerwillig stand er auf und schlurfte zur Tür, drehte sich noch mal um und warf mir einen Luftkuss zu. Dann war er aus meinem Sichtfeld verschwunden. Bis heute habe ich ihn nicht wieder gesehen.
    Mein Leben ging ohne ihn weiter. Mit der geschulterten Sporttasche lief ich die Treppe runter, warf meinem Vater einen hasserfüllten Blick zu und warf ihm den Hausschlüssel zu. Mit dem Schritt über die Türschwelle war ich mir bewusst, von da an ein eigenes Leben aufbauen zu müssen. Das begann mit einer Zugfahrt zu meiner Tante Eva.
     

Schritte in ein eigenes Leben
    Auf dem Weg
     
    Ich war unfassbar wütend, wusste aber nicht, wie ich dieses madige Gefühl aus dem Bauch bekommen sollte. Ich war siebzehn, wurde erst zwei Monate später achtzehn. Mein Elternhaus hatte ich mit Hast und Hass verlassen. Zu Josh führte kein Weg – sein Vater hatte so böse ausgesehen, ich traute ihm zu, dass er mir etwas antun würde, sollte ich mich dort blicken lassen. Abstand wäre die sicherste Option.
    Das einzige Ziel, das ich vor Augen hatte, war der Bahnhof. In einen Zug setzen, zu meiner Tante fahren und darauf hoffen, dass sie für meine Lage Verständnis aufbringen würde. Mein Notgroschen reichte für die Fahrkarte locker aus. Bis der Zug kam, musste ich aber noch über eine halbe Stunde warten.
    Am Bahnsteig waren nicht viele Leute unterwegs. Mit der Sporttasche setzte ich mich auf eine Bank, wartete auf den Zug, der mich hoffentlich nicht nur von dieser Stadt, sondern auch von dem Gefühlschaos in meinem Inneren wegbringen würde. Joshs Bild schob sich immer wieder vor meine Augen, sein Lächeln, seine schönen Augen, sein Körper. Mein Vater hatte alles kaputt gemacht, das würde ich ihm nie verzeihen. Ich bin kein Schlägertyp, doch ich hätte ihm am liebsten gründlich die Fresse poliert. Mann, ich war doch sein Sohn – sein Kind, sein eigen Fleisch und Blut! Warum hatte er mit solcher Verachtung reagieren müssen?
    Mit quietschenden Rädern fuhr der Zug ein und riss mich aus meinen Gedanken. Ich atmete tief durch, griff die Tasche und stieg ein. Die Hoffnung, dass ich einen Weg fand, mein Leben auf eigene Faust geregelt zu bekommen, stieg mit ein. Zurück blieb Josh – das wusste ich.
     
    Die Abteile waren fast leer, kein Wunder, war es doch der letzte Zug, der noch so weit fuhr. Der nächste ginge erst am Morgen darauf. Ich fand ein leeres Sechser-Abteil und setzte mich hinein. Die Füße auf dem Sitz gegenüber, starrte ich aus dem Fenster. Die Dämmerung setzte ein und tauchte die Welt in ein eigenartiges Licht. Mein Spiegelbild in der Scheibe wurde deutlicher. Ich sah furchtbar aus. Älter als siebzehn, die Stirn geschmückt von einer Zornesfalte, die Lippen zusammengepresst. Meine blauen Augen strahlten nicht, sie sahen einfach nur müde aus. Meine Haare, tiefschwarz und strubbelig, ließen vermuten, ich sei geradewegs aus dem Bett gefallen. Was ja irgendwie auch stimmte …
    Ich wollte mich nicht länger selbst ansehen und starrte stattdessen auf meine Hände. Schon lief mir ein Film vor Augen ab. Diese Hände auf der erhitzten Haut von Josh, streichelnd, liebkosend … ich schloss die Augen. In diesem Moment wurde mir so richtig bewusst, was ich verloren hatte. Mein Herz tat richtig weh, mein Magen verkrampfte und ich weinte. Ließ den Schmerz aus mir heraus. Sogar als der Schaffner kam, konnte ich nicht aufhören. Verwirrt sah er mich an, kontrollierte das Ticket und gab es mir zurück.
    „Kopf hoch, junger Mann“, sagte er, als er das Abteil verließ.
    Peinlich berührt von diesem nett gemeinten Zuspruch lehnte ich mich zurück. Wischte mir das Gesicht mit den Händen ab und atmete tief durch. In meiner Hosentasche fand ich ein Tempo, schnäuzte geräuschvoll und atmete erneut tief durch. Danach schloss ich die Augen und versuchte, nicht mehr nachzudenken. Ich döste ein. Ertappte mich, dass ich immer wieder für ein paar Minuten wegschlummerte.
    Als ich erneut aufschreckte, saß mir plötzlich ein Kerl gegenüber. Ich hatte gar nicht gehört, dass er ins Abteil gekommen
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