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Whisper

Whisper

Titel: Whisper
Autoren: Arena
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Blick einfing, lächelte er – ein ganz eigenartiges Lächeln, ruhig und ein klein wenig herablassend. Seine grünen Augen fixierten sie, aber Noa konnte dem Blick nicht standhalten. Sie beugte sich über ihren Teller und ärgerte sich, dass ihr Herz schneller schlug. Bemüht gleichgültig schob sie sich eine Gabel voll Bratkartoffeln in den Mund.
    Der Junge wandte sich an Kat, die sich gerade eine Zigarette anzündete.
    »Ganz richtig. Wir haben das Haus in der Gartenstraße gemietet und könnten Hilfe beim Renovieren gebrauchen. Bist du David? Ich bin Kat und das …«
    »Das mit dem Renovieren geht klar«, unterbrach der Junge Kat und drehte seinen Kopf zum Vorhang. Auch Noa hatte den seltsamen Ruf dahinter gehört. Es hatte wie »Ahii« geklungen, eine Art Lallen, seltsam gequält.
    Der Vorhang teilte sich zum dritten Mal. Noch ein Junge kam dahinter hervor, auf Knien rutschte er in die Kneipe und Noa biss sich auf die Lippe. Dieser Junge war behindert, stark behindert. Wie alt er war, konnte sie nicht erkennen, er hätte ebenso gut zwölf wie zwanzig sein können. Seine krausen dunklen Haare standen ihm wie Korkenzieher nach allen Seiten vom Kopf ab, die blassblauen Augen schienen ihm aus den Höhlen zu quellen, sie schauten in zwei gänzlich unterschiedliche Richtungen. Er sabberte. Um den Hals trug er ein Plastiklätzchen mit einem aufgedruckten blauen Hasen und in der Hand hielt er einen kurzen Stock. Bei jedem Schritt, den sich der Junge auf Knien vorbewegte, ließ er den Stock auf den Boden klacken. Tock … tock … tock .
    Die Männer am Stammtisch lachten und die Frau hinter dem Tresen zuckte leicht zusammen. Noa schluckte. War dieser Junge auch ihr Sohn? Wenn ja, wie oft musste die Frau solche Reaktionen über sich ergehen lassen? Kat hielt zum Glück ihren Mund. Jetzt kam auch der Wirt wieder hinter dem Vorhang vor, sein Gesicht war feuerrot. »Bitte entschuldigen Sie«, flüsterte er erschrocken. »Kalle, willst du wohl herkommen?
    Kalle! David ist gleich bei dir, hörst du?«
    Aber der behinderte Junge achtete nicht auf ihn. Er robbte an den anderen Jungen, an David, heran, griff nach seinem Ärmel und zog daran. »Ahii, Ahii …«
    »Alles klar, Krümel, ich bin doch da.« David legte einen Arm um ihn. »Das ist mein Bruder Krümel«, sagte er ruhig. Dabei sah er nacheinander Kat, Gilbert und Noa in die Augen.
    »Hey, Krümel.« Kat erhob sich von ihrem Stuhl, beugte sich zu dem behinderten Jungen herab und hielt ihm ihre Hand entgegen. »Ich bin Kat. Und das sind Gilbert und meine Tochter Noa.«
    Gilbert nickte und Noa versuchte zu lächeln. Aber ihr war eng um die Brust, furchtbar eng, am liebsten wäre sie hinausgelaufen. Der behinderte Junge öffnete seinen Mund, schob die Zunge heraus und lachte, wobei er den Kopf nach hinten warf und dabei gleichzeitig mit dem Stock auf den Boden klopfte.
    Kat lachte auch, aber es war ein warmes, weiches Lachen, als freute sie sich mit dem Jungen gemeinsam über einen Witz, den sonst keiner verstand.
    Der Junge ließ seinen Bruder los und griff nach Kats immer noch ausgestreckter Hand. Er zog und zerrte daran und Noa wusste nicht, wie es ihre Mutter schaffte, weiterzulachen. Es fehlte nicht viel und der Junge hätte Kat zu Boden gerissen.
    »Komm zurück!«
    Eine alte Dame schob sich halb aus dem Vorhang heraus. An ihrem weißen Haarkranz erkannte Noa die alte Frau von heute Nachmittag wieder.
    Der Junge, den David Krümel und der Wirt Kalle genannt hatte, gehorchte sofort. Auf Knien rutschte er zurück zum Vorhang. Tock … tock … tock …
    »Tschüss, Krümel«, rief ihm Kat hinterher. »Und vielen Dank, dass du uns deinen Bruder ausleihst.«
    Es gab nicht viele Momente, in denen Noa ihre Mutter liebte, aber dies war einer.
    Kat zwinkerte David zu, doch er reagierte nicht darauf. Er schob die Daumen in die Gürtelschnallen seiner Jeans und musterte Kat mit einem ausdruckslosen Blick.
    »Wann soll ich anfangen?«, fragte er schließlich.
    »Wie wär’s mit morgen früh, um …«, Kat wiegte den Kopf hin und her, »… sagen wir neun?«
    David nickte. Und verschwand hinter dem Vorhang, ohne sich zu verabschieden.
    Noa ging als Erste zu Bett, aber schlafen konnte sie nicht. Die Fenster waren geöffnet, der kühle Nachtwind bauschte die Vorhänge auf. Am Nachmittag hatten sie noch grau ausgesehen, aber jetzt wirkten sie weiß. Neben ihr, auf dem Boden, lag die Kamera. Noa hatte Fotos vom Himmel gemacht. Von den Sternen, die jetzt millionenfach an der
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