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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus
Autoren: Gerd Luedemann
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Fähigkeit, Besessene zu heilen. Dies wertete er gegenüber seinen Jüngern als untrüglichen
     Beweis dafür, dass unter ihnen das Reich Gottes, jene Verwirklichung der reinen Theokratie, vorab präsent sei. O-Ton Jesus:
     »Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen.«
    Jesu Wunderkraft sprach sich in Galiläa bald herum. Die Exorzismen, durch die er psychisch Kranke gesund machte, sind die
     am besten bezeugten »Wunder« im Neuen Testament. Nerven- und Geisteskrankheiten wurden damals auf die Besessenheit von Dämonen
     zurückgeführt. Als Oberster dieser bösen Geister galt Satan. Ihn sah Jesus laut eigenem Zeugnis »wie einen Blitz aus dem Himmel
     fallen«. Damit war die Überwindung Satans, die fromme Juden erst von der Zukunft erwarteten, im Umkreis Jesu bereits gegenwärtige
     Realität. Jesus heilte Männer, Frauen, Kinder und entriss sie – mythologisch gesprochen – Satans Herrschaft, die keine mehr
     war.
    Das Reich Gottes zeigte sich Jesus zufolge vorab nicht nur in seinen Heilungen – es schlug sich auch in Jesu Gewissheit nieder,
     am bald eintretenden Ende der Zeiten werde ein von ihm ausgewählter Zwölferkreis von Jüngern als Repräsentant des »wahren«
     Israel das übrige Israel richten. Diese Erwartung verband sich bei ihm aber nicht mit der Sicht, dass er als Messias oder
     Menschensohn der kommende Retter sei. Vielmehr ging es ihm darum, dem Reich Gottes den Weg zu bahnen.
    Jesu Leben war in seiner entscheidenden Phase geprägt von dem felsenfesten Glauben, im Namen Gottes dessen Gesetz vollgültig
     auslegen zu müssen. Zu weiten Teilen war seine Thorainterpretation |20| als Verschärfung des Willens Gottes wahrzunehmen. So verbot er die Ehescheidung mit Hinweis auf die gute Schöpfung Gottes,
     bei der Mann und Frau in der Ehe unwiderruflich ein Fleisch geworden seien. Das Liebesgebot spitzte er auf die Forderung der
     Feindesliebe zu. Das Schwören verbot er. Ab und zu reduzierte er die Thora und setzte dadurch die Speisegebote faktisch außer
     Kraft. Aber all das, was nach Autonomie aussah, war gegründet in Theonomie. Jesus konnte diese freien und gleichzeitig radikalen
     Interpretationen des Gesetzes nur durchführen, weil er meinte, dazu von Gott, den er liebevoll mit »Abba« (= Papa) anredete,
     die Vollmacht erhalten zu haben.
    Exorzist, Gesetzesausleger und Zukunftsprophet war er, gleichzeitig aber auch Dichter und Weisheitslehrer. Jesus erzählte
     spannende Geschichten von Betrügern und sah in ihrer realistischen Einschätzung der jeweiligen Situation ein Vorbild für sich
     und seine eigenen Jünger. Das Leben Jesu in dieser Phase ähnelte dem eines unmoralischen Helden. Jesus arbeitete nicht mehr,
     was für einen jüdischen Lehrer untypisch war, und verlangte von seinen Jüngern, seinem Beispiel zu folgen. Er selbst ließ
     sich von seinen Verehrern aushalten.
    In seine Erzählungen waren Klugheitsregeln eingebettet, die man eher von Philosophen erwartet hätte. In Gleichnissen veranschaulichte
     er, wie Gott sein Reich herbeiführen werde, nämlich leise und gleichzeitig doch unwiderruflich. Wieder andere Gleichnisse
     legen schlagend dar, dass Gott das Verlorene sucht. Jesus lieferte in seinem Leben den Kommentar dazu: Er war oft zu Gast
     bei Zöllnern und Huren. Manchmal bekamen seine Gleichnisse auch einen drohenden Klang: Im endzeitlichen Gericht, unmittelbar
     vor der Errichtung seines Reiches, vernichte Gott seine Feinde. Dann wende er das Schicksal der Armen, Hungernden und Weinenden
     zum Guten, zum heilvollen Vollendungszustand, wie die Seligpreisungen der Bergpredigt schlagend darlegen.
    Jesus hatte in Galiläa Erfolg. Viele Menschen waren ihm zugetan. Nun zog es ihn nach Jerusalem, um Volk und Führung zur Umkehr |21| aufzurufen. Als er offen Kritik an den im Tempel herrschenden Zuständen äußerte, hatte er in den Augen der jüdischen Führung
     die Tabugrenze überschritten. Was nun folgte, war nichts im Vergleich zu den Wortwechseln zwischen Jesus und seinen Kritikern
     in Galiläa. Die Jerusalemer Lokalaristokratie verleumdete Jesus – der doch von Gott allein die Errichtung seines Reiches in
     naher Zukunft erwartet hatte – als politischen König Israels. Damit war sein Schicksal besiegelt, und Pilatus machte kurzen
     Prozess. Aber auch Jesu Traum vom Reich Gottes erfüllte sich nicht, sein Leben endete im Fiasko am Kreuz.
    An Stelle des Reiches Gottes aber kam die Kirche. Nicht lange nach dem
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