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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt
Autoren: Michael Wildenhain
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Das sollte sich ändern. Folglich gab es außer der wöchentlichen Sitzung für den Kaffeeautomaten noch eine weitere wegen der Mädchen. Und von denen wurde ich ausgeschlossen, weil ich ein Junge bin.
    Und erst als ich deshalb nicht bei diesen Sitzungen anwesend sein musste, bekam ich mit, dass Viktor von Karl-Heinz und Franco im Park abgefangen wurde.
    Ich stand ganz in der Nähe, hinter dem Stamm einer Platane. Denn ich hatte mich unwillkürlich, um nicht sofort bemerkt zu werden, kaum dass ich um die Ecke bog, hinter dem dicken Baum versteckt. Das geschah ohne Überlegung. Wie ein Reflex.
    Ich sah auch, dass sie ihn nicht zum ersten Mal am Ausgang des Stadtparks erwartet hatten und festhielten, als er noch rasch an ihnen vorbeifahren wollte. Sie zogen ihn von seinem Rad, sodass er zur Seite ins Gebüsch fiel.
    Als er sich aufgerappelt hatte, stand Viktor mit gesenktem Kopf und eingezogenen Schultern vor den beiden Kahlrasierten und begann zu schluchzen. Das Schluchzen war grauenhaft. Es glich dem Wimmern eines kleinen Kindes.
    Sie fragten ihn: »Wo ist das Geld?« Er greinte: »Habt ihr doch … gestern schon … vorgestern schon bekommen.«
    Sie grinsten, schwiegen kurz und meinten: »Und warum wolltest du gerade abhauen?«
    Er sagte nichts, er schien nur weiter in sich zusammenzufallen. Und dabei lief ihm der Rotz vermischt mit Tränen und etwas Spucke, weil seine Lippen zitterten, am blassen Kinn herab.
    Ich drückte mich an meinen Baum und konnte es einfach nicht glauben, dass das Häufchen Elend neben dem umgekippten Rad immer noch Viktor war. Der Viktor, der andauernd steif von großgeschriebenen Wörtern geredet hatte, von Liebe und Gewaltfreiheit. Der sich getraut hatte nachts mit nichts weiter als einem Scheinwerfer die Brüder zu verjagen.
    Karl-Heinz nickte kurz. Er zeigte mit dem Schädel Richtung Boden und er brauchte – wie der Vater der Janetzki-Brüder gegenüber seiner Frau in der Wohnung im Souterrain – nichts zu sagen, musste Viktor nicht erst auffordern: Viktor wirkte längst, als habe er darauf gewartet.
    Er gehorchte, ohne dass ihn jemand zwang. Er knöpfte seine Hose auf und ließ sie langsam fallen.
    Franco bückte sich. Er grinste so wie vor den Pornoheften damals in der Gartenlaube, zog aus einer Plastiktüte etwas vor, das blutig aussah und das ich erst erkannte, als Franco vor Viktor hintrat, ihm die Unterhose aufhielt und die Innereien gemächlich hineingleiten ließ. Vielleicht war mir die Vorstellung, dass mir so was passieren könnte, ganz besonders widerwärtig. Vielleicht war es auch irgendetwas aus meinen allerschlimmsten Träumen, das Gefühl, dass diese Innereien, sobald sie eine Zeit lang in der Unterhose hängen, warm werden und dann lebendig, das Gefühl, dass etwas zwischen deinen Beinen glitschig ist und sich bewegt.
    Vielleicht war es auch nur der jämmerliche Ausdruck Viktors, das grenzenlos entsetzte Gesicht. Obwohl er doch längst wusste, was ihn erwartete, war alles an ihm eine stumme Bitte. Die weder Franco noch Karl-Heinz beachteten. Im Gegenteil, sie lächelten, als sei ihnen ein wunderbarer Coup gelungen. In diesem Augenblick stieß ich mich von dem Baum ab, dachte: Das Zeug ist aus der Schlachterei am Hafen, und rannte auf Karl-Heinz und Franco zu.
    Viktor zog seine Hose hoch, machte drei Schritte und begann zu würgen.
    Karl-Heinz baute sich vor Viktor auf und sagte: »Lass das Zeug lieber, wo es ist, sonst …!«
    Franco griente: »Schau mal, da kommt ein Bekannter.«
    Ich musste mehrmals Luft holen, ehe ich brüllen konnte: »Ihr Schweine!« Doch dann gelang es mir tatsächlich, sämtliche Wörter, die ich kannte, mit einer Stimme, die mir selber fremd war, Franco an den Kopf zu werfen. Ihn hatte ich bis vor Kurzem noch für meinen Freund gehalten.
    Und obwohl mir Innereien eklig waren, musste ich noch nicht mal schlucken. Nein, ich schaffte es sogar, auszuholen, um nach ihm zu schlagen.
    Franco war überrascht. Karl-Heinz fing meine Faust ab. Viktor würgte ohne sich zu übergeben. Selbst das gelang ihm nicht in seiner Steifheit.
    Dann sagte Franco: »So ist das!« Und schlug mir auf die Lippen.
    Während ich nach hinten fiel und auf dem Kiesweg landete, spürte ich nicht nur mein eigenes Blut, das im Mund wie Eisen schmeckte, sondern fühlte mich auch erleichtert wie noch nie zuvor.
    Karl-Heinz und Franco gingen, ohne mich und Viktor noch weiter zu beachten, Richtung Rathaus.
    Viktor murmelte erschöpft: »Möchte mich bei dir bedanken.«
    Aber da
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