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Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben

Titel: Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
Autoren: Bernd Stelter
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jetzt wirklich gut aus. Habe ich denn nicht so viel Willenskraft wie Herbert? Wie könnte ich ihm am nächsten Silvesterabend unter die Augen treten? Oder Willi Kenzenich, dem Benedetto unter den Joggern? Wenn ich jetzt aufgebe, würde ich es ihm eines Tages beichten müssen. Und vor allem, was war mit Anne? Ich würde als Niete und Versager dastehen. Würde sie mir gegenüber auch nur noch einen Hauch von Respekt haben, wenn ich die Tights jetzt schon ins Korn warf?
    Mein »Runner’s High« hatte halt nicht stattgefunden, dieses ganz besondere Hochgefühl, das den Läufer irgendwann überkommt, dann wird der ganz glücklich und läuft einfach immer weiter. Dazu muss man vielleicht auch länger als eine Minute am Stück laufen. Irgendwann wird mir das auch passieren, dachte ich. Irgendwann, aber heute ist heute, es ist Donnerstag.
    Noch wichtiger als Herbert und Willi und die Rentner auf den Parkbänken am Rhein waren Edda und Tristan, das Papa-Thema, die Verantwortung für den Nachwuchs, meine Vorbildfunktion. Tristan ging selbstverständlich davon aus, dass wir das weitermachen, das mit dem Laufen. In diesem Satz tauchte das schöne Wörtchen »wir« auf. Wir: Tristan, Edda, Anne und ich. Und ich! Wir hatten eine Beschäftigung für die ganze Familie gefunden, einen Malefiz-Ersatz. Das allein reichte schon fast aus.
    Was würde denn passieren, wenn ich nicht weiterlief?
    Erstens: Ich müsste wieder Malefiz spielen.
    Zweitens, und viel schlimmer: Vielleicht würde Tristan irgendwann einmal genau so ein Bewegungstheoretiker werden wie sein Alter, dessen einziger aktiver Sport »Extreme Couching« war. Wollte ich als derjenige in die Familienchronik eingehen, der dafür verantwortlich war, dass die männlichen Nachkommen der Stelters niemals eine Siegerurkunde ihr Eigen nennen durften?
    Nein, es half nichts. Ich musste mich bei der eigenen Ehre packen, ich musste Vorbild sein – gegen alle Schmerzen, Rentnersprüche und sonstigen Widerstände. Es galt, dieses schwarze Viech mit den spitzen Ohren auszutricksen, hinters Licht zu führen, zu überlisten, zu verarschen, was auch immer, dem inneren Schweinehund durfte nicht nachgegeben werden. Laufen musste für mich werden wie Zähne putzen, dazu habe ich morgens auch nicht immer Lust, und ich mache es trotzdem.
    Plötzlich durchzuckte etwas völlig anderes meinen Körper. Da war etwas, das vom Hirn aus abwärts kroch, es färbte meine Wangen rot, hinterließ ein wohliges Gefühl im Brustkorb, ließ meine Bauchdecke kurz erzittern, dann hob es meinen rechten Arm und ließ mich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger den Stiel meines Weinglases ergreifen.
    Ich ließ die Kirsch- und Vanillearomen in meine Nasenhöhlen steigen, die wunderbare Flüssigkeit umspielte meinen Gaumen, ich spürte noch den Nachhall des Spätburgunders und musste plötzlich ein bisschen grinsen. Ja, tatsächlich, es war da: Ein kleines bisschen Stolz hatte sich Platz geschaffen. Natürlich waren es insgesamt netto nur zehn Minuten, die ich gelaufen war, aber ich war sie gelaufen. Natürlich war ich danach achtzehn Minuten zu kaputt, um einen Big Mac zu halten. Aber beim nächsten Mal würden es nur noch siebzehn Minuten sein. Oder sechzehn.
    Es war nicht viel, was ich da geschafft hatte, aber ich hatte es geschafft. Es war ja nur die erste Etappe. Und übermorgen würde ich die nächste in Angriff nehmen.
     
     

Diätenerhöhung
     
     
     
     
    Ich habe irgendwo mal gelesen: »Essen ist der Sex des Alters«. Vielleicht ist da was dran. Vielleicht ändert sich im Alter tatsächlich die Bedeutung von Essen und Sex. Da verlagern sich die Prioritäten.
    Es ist doch so: Wenn eine junge Frau nach einem gemeinsamen Abend einen jungen Mann fragt, »Kommst du noch mit rauf auf einen Kaffee?«, dann denkt der sich mit Sicherheit, toll, zur Krönung des Abends gibt’s noch Sex.
    Wenn eine ältere Frau nach einem gemeinsamen Abend einen älteren Mann fragt, »Kommst du noch mit rauf auf einen Kaffee?«, dann freut der sich auf ein Stückchen Kuchen.
    Möglicherweise freut man sich im Alter irgendwann wirklich mehr auf die Zigarette danach. Ich mochte schon immer beides gerne, Essen und Sex. Die Folgen davon sind unter anderem zwei Kinder und meine Lebensmittelschwangerschaft.
    Deshalb war ich mir sicher: Zwei- oder dreimal den Wanst ins enge Jogging-Leibchen pressen, das würde nun fester Bestandteil meines Wochenplans werden. Aber mir war klar, das würde sicher nicht ausreichen. Ich müsste meine
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