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Wenn Du Luegst

Titel: Wenn Du Luegst
Autoren: Anna Salter
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die Akten vor mir und musste fast lachen über seine Unverfrorenheit. »Der Kassierer hat zu Protokoll gegeben, dass Sie ihn mit der Pistole niederschlugen und die Herausgabe des Geldes verlangten«, sagte ich ruhig. »Ich habe die Fotos seiner Verletzungen gesehen. Sie sind ziemlich eindrucksvoll.«
    »Dass ich ihn niedergeschlagen habe, war tatsächlich mein Fehler. Er schleuderte mir das Geld entgegen, aber als ich mit den Scheinen und dem Bier abhauen wollte, kam ihm plötzlich die dämliche Idee, mich aufhalten zu müssen. Es ist wirklich saumäßig blöd, einen Mann anzugreifen, der eine Waffe hat. Aber er hat es getan, und ich habe ihm einen Schlag gegen die Schläfe verpasst, um ihn abzuwehren. Wie schon gesagt, hatte ich nicht die Absicht, jemand zu verletzen.«
    Die Überwachungskamera belegte etwas anderes, aber ich ging zum nächsten Punkt über. »Mr Collins, Sie haben ein langes Vorstrafenregister. Soweit ich weiß, gab es vier Verhaftungen wegen Körperverletzung, fünf wegen Drogenhandels, zwei wegen Alkoholmissbrauchs am Steuer, vier wegen Einbruchs sowie eine Jugendstrafe für
den tätlichen Übergriff auf die Mitarbeiterin eines Gemeindezentrums. Es ist schwer, das alles als jugendlichen Leichtsinn oder dummen Zufall abzutun.«
    »Das meiste davon hat nicht einmal zum Prozess geführt …« Er brach ab. Diese Art von Verteidigungsrede passte nicht zu der Rolle, die er spielte. »Ich habe es Ihnen schon gesagt. Ich war jung und hirnlos damals. Aber Gott kann jeden Menschen erretten, gelobt sei der Herr, sogar einen Sünder wie mich.« Das war seine Geschichte, und von der wich er nicht ab.

    Vier Stunden später war ich erschöpft. Ich hatte alle meine Fragen gestellt, alle meine Tests durchgeführt. Die Erschöpfung rührte nicht von der Dauer des Ganzen, sie kam von den Lügen. Da ist etwas an der Bosheit, das ein Stück aus deiner Seele herauszubeißen scheint. Möglicherweise war diese Erschöpfung auch der Grund dafür, was als Nächstes passierte. Aus dem Augenwinkel sah ich seitlich, ganz am Rande meines Sichtfelds, plötzlich den Geist eines kleinen Mädchens. Sie stand einfach nur da, den Blick eher mir als Collins zugewandt. Sobald ich versuchte, sie direkt anzusehen, war sie verschwunden. Nur wenn ich zu Collins sah, konnte ich sie aus dem Augenwinkel erkennen. Ich rieb mir die Augen, aber sie war immer noch da. Das Ganze beunruhigte mich, trotzdem versuchte ich, mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen und mich auf Collins zu konzentrieren. Was zur Hölle hatte das zu bedeuten? Verlor ich gerade den Verstand?

    Ich blinzelte und rieb mir noch einmal die Augen. Es half nichts. Synästhetiker sind dafür bekannt, häufiger paranormale Erfahrungen zu machen als andere, etwas Derartiges war mir jedoch nie zuvor widerfahren. Es hat vermutlich einfach nur mit der Synästhesie zu tun, sagte ich mir. Nachdem ich bereits in der Lage war, Dinge zu sehen, die andere Menschen nicht sehen konnten, warum sollte mein Gehirn sich darüber hinaus nicht irgendetwas ausdenken können? Trotzdem sagte mir mein Bauchgefühl, dass das kleine Mädchen etwas mit dem Mann mir gegenüber zu tun hatte, auch wenn es in seinen Akten nicht den geringsten Hinweis auf ein kleines Mädchen gab.
    Was ich als Nächstes tat, überraschte mich, und später konnte ich es nicht erklären. Ich war müde und verwirrt von der Erscheinung, aber das ist keine Entschuldigung. Selbst während ich es tat, wusste ich, dass es falsch war.
    »Was ist mit dem kleinen Mädchen?«, fragte ich.
    Er saß nach vorn gebeugt da, den Blick auf seine Hände gerichtet, doch jetzt riss er den Kopf hoch und starrte mich an.
    »Was für ein kleines Mädchen?«, fragte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte.
    Das Mädchen, das ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, wollte ich sagen, das, das mich so unverwandt ansieht.
    »Blaues Kleid mit gelben Gänseblümchen«, erwiderte ich stattdessen. »Ich glaube, Sie wissen, von wem ich spreche.« Jetzt improvisierte ich wirklich, aber genau das trug sie, und ich war überzeugt, dass Collins das Kleid
kannte. Ich hatte keine Ahnung, woher ich es wusste, aber ich tat es.
    Mich noch immer anstarrend, öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, dann schloss er ihn wieder. Schließlich zeigte er auf die Akten, die vor mir auf dem Tisch lagen. »Da drin steht nichts über ein Kind«, behauptete er, was natürlich nicht gerade einem Leugnen gleichkam.
    »Tatsächlich? Wenn es nicht in den Akten steht, wie sollte
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