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Wenn Die Wahrheit Stirbt

Titel: Wenn Die Wahrheit Stirbt
Autoren: Deborah Crombie , Andreas Jäger
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einfach dazusitzen und dem geschäftigen Treiben in den Londoner Straßen zuzusehen, ohne selbst einen Finger rühren zu müssen. Dass sie solche Mühe haben würde, ihre Mitbürger auf Abstand zu halten, hatte sie dabei nicht bedacht.

    Als der Bus gleich hinter der Brücke ächzend zum Stehen kam, war sie versucht, auszusteigen und den Rest zu Fuß zu gehen. Ein Blick auf den Stadtplan sagte ihr jedoch, dass es noch ein ganzes Ende war, und außerdem klatschten gerade ein paar träge Regentropfen an die ohnehin schon schmutzigen Fenster. Zu ihrer Linken konnte sie den höher gelegenen Battersea Park erkennen, der durch die verschmierte Scheibe zu einem impressionistischen grau-grünen Gemisch verschwamm. Die Türen öffneten und schlossen sich mit pneumatischem Zischen. Der Betrunkene machte keine Anstalten, seinen Platz zu räumen.
    Gemma kannte diesen Teil Londons nicht besonders gut, und als der Bus von der relativ gediegenen Battersea Park Road in die Falcon Road einbog, verlor die Umgebung rapide an Glanz.
    Hazel konnte doch nicht ernsthaft vorhaben, hier zu wohnen anstatt in Islington? Secondhandläden, Videotheken, Halal-Metzger, schäbige, namenlose Cafés - und jetzt konnte sie schon die Bahngleise sehen, die sich an der Clapham Junction vereinigten. Hatte sie ihre Haltestelle verpasst? Sie drückte fest auf den roten Knopf, und als die Bustüren sich an der nächsten Haltestelle öffneten, sprang sie geradezu hinaus.
    Ihre Erleichterung, als sie endlich auf dem Gehsteig stand und sich umsah, war allerdings nur von kurzer Dauer. Sie sah noch einmal in ihren Straßenatlas, um ganz sicherzugehen, aber es gab keinen Zweifel - es war die richtige Straße. An der Ecke der kurzen Sackgasse stand ein klobiger Betonbau, den ein Schild auf Englisch und Bengali als Moschee auswies, und auf der Straße selbst kickten ein paar Jugendliche lustlos einen Fußball hin und her. Alle trugen Scheitelkäppchen und den Salwar Kamiz, die traditionelle Alltagskleidung der Südasiaten.
    Gemma setzte sich langsam in Bewegung und hielt Ausschau nach der Hausnummer, die Hazel ihr genannt hatte. Ein Müllcontainer stand auf dem Gehsteig zu ihrer Linken, randvoll mit
Abfall, bei dem es sich anscheinend um die komplette Inneneinrichtung des viktorianischen Reihenhauses dahinter handelte. Das war doch wohl ein gutes Zeichen, dachte sie - es ging offenbar aufwärts mit dem Viertel. Aber abgesehen von der kurzen Häuserreihe sah sie nur einen Block mit Mietwohnungen am Ende der Straße und zu ihrer Rechten eine hohe Mauer.
    Die Jugendlichen ließen ihren Fußball liegen und sahen in Gemmas Richtung. Sie nickte ihnen unverbindlich zu, um dann mit gestrafften Schultern und entschlossener Miene ihre Umgebung in Augenschein zu nehmen. Die langjährige Polizeiarbeit hatte sie gelehrt, dass es nicht ratsam war, umherzuirren wie ein verlorenes Schaf - dadurch gab man sich nur als potenzielles Opfer zu erkennen.
    In Anbetracht des schwülen Wetters hatte sie nur ein leichtes Sommerkleid aus pfirsichfarbener Baumwolle angezogen, und obwohl es ihre Beine bis zu den Knien bedeckte, fühlte sie sich plötzlich auf unangenehme Weise entblößt.
    Hazel hatte von einem Bungalow gesprochen, mit einem entzückenden Garten und einer Terrasse. Die Vorstellung eines Bungalows mitten in London war Gemma von Anfang an seltsam vorgekommen, aber hier schien so etwas geradezu unvorstellbar. Sie fragte sich schon, ob sie nicht doch irgendetwas durcheinandergebracht hatte.
    Sie spielte bereits mit dem Gedanken, die jungen Männer - die ihr Interesse nun kaum noch verhehlen konnten - nach dem Weg zu fragen, als sie die Hausnummer entdeckte, halb versteckt hinter den Ranken einer Kletterpflanze, die über die hohe Mauer wuchs. Unter der Nummer war eine Rundbogentür aus Holz, deren Anstrich zu einem stumpfen Blaugrau verblasst war.
    Noch einmal kramte sie den Zettel aus ihrer Handtasche hervor, um die Adresse zu überprüfen, und sah, dass sie definitiv stimmte. Aber wo war der Bungalow? Nun, es hatte jedenfalls
keinen Sinn, noch länger untätig in der Gegend herumzustehen, dachte sie. Sie trat auf die Tür zu und drückte auf den Klingelknopf an der Seite. Ihr Magen krampfte sich plötzlich zusammen.
    Sie hatte ihre beste Freundin über ein Jahr nicht mehr gesehen, und in dieser Zeit hatte sich bei ihnen beiden so vieles verändert. Per E-Mail und Telefon hatten sie einander auf dem Laufenden gehalten, aber in den letzten Monaten hatte Hazel irgendwie distanziert
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