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Wenn Die Wahrheit Stirbt

Titel: Wenn Die Wahrheit Stirbt
Autoren: Deborah Crombie , Andreas Jäger
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oder kleinen Palmen hinter sich her.
    Sie hörte das Marktgetümmel, bevor sie die Stände sah - ein stakkatoartiges Stimmengewirr, das sich anfangs wie eine fremde Sprache anhörte. Doch als sie näher kamen, konnte sie die Worte ausmachen - es war tatsächlich Englisch, was die Händler da in ihrem eigenartigen Singsang riefen, allerdings mit deutlichem Cockney-Einschlag. »Schöne Margeriten, nur fünf Pfund der Strauß! Holen Sie sich jetzt Tulpen ins Haus, drei Sträuße nur zehn Pfund!«

    Sandra bog um eine Ecke, ging an dem winzigen Park vorbei, und schon stand sie zwischen den Buden des Blumenmarkts am unteren Ende der Columbia Road. Jeden Sonntag bauten die Blumenhändler hier in aller Frühe ihre Stände auf.Von Paletten mit Setzlingen bis hin zu kleinen Bäumen war hier alles zu haben. Sandra hatte den Markt erst als erwachsene Frau aus dem Blickwinkel der Kundin kennengelernt - während ihrer Schul- und Studienzeit hatte sie hier jahrelang als Aushilfe an Roy Blakelys Blumenstand gejobbt.
    Sandra drückte Charlotte fester an sich und schob sich durch die Menge. An einem Stand mit Kletterrosen musste sie sich ducken, um nicht mit den Haaren in den Ranken hängenzubleiben. Roy stand unter seiner grün-weiß gestreiften Markise und steckte gerade einen gefalteten Schein in den Geldbeutel, den er sich vor den Bauch geschnallt hatte. Als er Sandra und Charlotte erblickte, zwinkerte er ihnen zu. »Na, sind wir mal wieder gekommen, um Schnäppchen abzustauben, was?«
    Die Händler verkauften ihre komplette Ware, ehe sie ihre Stände abbauten, und Roy überließ Sandra seine Restbestände immer zu einem Schleuderpreis. Ihr Speicher war vollgestopft mit Topfpflanzen, ihr kleiner Garten eine Blütenpracht, und fast jede Woche brachte sie mehrere Sträuße Schnittblumen mit nach Hause. Aber nicht heute.
    »Muffins«, sagte Charlotte ernsthaft und warf begierige Blicke in Richtung des Treacle-Süßigkeitenladens neben Roys Stand. »Zitrone.«
    »Noch nicht.« Sandra ließ sie herunter. »Roy, kann ich dich um einen Gefallen bitten? Ich habe etwas - Ich muss noch etwas erledigen. Würde es dir etwas ausmachen, kurz auf Charlotte aufzupassen? Es dauert nicht lange - wir sind um zwei mit Naz verabredet.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und sah, dass die Zeit drängte.
    Charlotte sprang über eine Palette mit Stiefmütterchen und schlang die Arme um Roys Knie. »Darf ich Blumen verkaufen, Onkel Roy?«
    »Aber sicher, Schatz.« Roy bückte sich und drückte sie an sich. »Geh nur«, fügte er an Sandra gewandt hinzu. »Ich komm schon klar, ist ja nicht mehr viel los um diese Zeit.«

    Sandra zögerte nur einen Moment - die Vertrautheit und Geborgenheit des Markts war eine Verlockung. Es wäre so leicht gewesen, sich einfach eine Schürze umzubinden und Roy zur Hand zu gehen. Aber sie hatte ihren Entschluss gefasst, und jetzt musste sie die Sache auch durchziehen.
    Sie bückte sich und gab Charlotte einen Kuss. »Also gut. Danke, Roy, du hast was gut bei mir.«
    Sie sah wieder auf die Uhr. Es war fünf nach eins. Als sie an der Ecke anlangte, blickte sie sich noch einmal um, einem plötzlichen Impuls folgend, doch die Menge hatte ihre Tochter bereits verschluckt, so nahtlos, als hätte jemand einen Reißverschluss zugezogen.

1
    So traurig es ist, ich habe in letzter Zeit akzeptieren gelernt, was ich mir so lange nicht eingestehen wollte: dass das Haus vielleicht nicht für die Ewigkeit ist.
    Dennis Severs, 18 Folgate Street:The Tale of a House in Spitalfields
     
     
    Die Straßen waren schmierig vor Nässe. Die Luft im Bus fühlte sich zäh an, beinahe wie eine feste Masse, und in der feuchten Augusthitze zeigte sich nur zu deutlich, dass einige der Fahrgäste es mit der Körperpflege nicht allzu genau nahmen.
    Gemma James stand in der Nähe der mittleren Tür, als der 49er Bus über die Battersea Bridge rumpelte. Sie hielt die Haltestange umklammert und bemühte sich, nicht durch die Nase zu atmen. Der Mann auf dem Sitzplatz direkt neben ihr roch nicht nur ungewaschen - eine Alkoholfahne umwaberte ihn, und als der Bus mit einem Ruck anfuhr, fiel er mit seinem ganzen Gewicht gegen Gemma.
    Wie hatte sie nur glauben können, dass es eine gute Idee wäre, den Bus zu nehmen? Und dazu an einem Samstag. Sie hatte ein paar Dinge in Kensington zu erledigen und wollte sich die Parkplatzsuche ersparen - das jedenfalls war ihre Ausrede gewesen. In Wirklichkeit hatte sie nur das Bedürfnis gehabt, vollkommen abzuschalten,
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