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Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Titel: Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Autoren: Thomas Görden
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plötzlich ein, wer sie war, und dass sie nicht allein war. Sie erinnerte sich an die Worte der Domführerin. Selbst hier in diesem Tempel, den die Christen für ihren fernab im Himmel thronenden Gott gebaut hatten, gab es Erdgeister, es wimmelte geradezu von ihnen, und sie sehnten sich danach, vielleicht seit Jahrhunderten, dass sie endlich wieder jemand um Hilfe bat, der an die Kräfte der Natur glaubte.
    Chris hatte ihre Bitte kaum ausgesprochen, die Geister leise flüsternd um Hilfe angerufen, als sie aus der dämmerigen Weite der riesigen Säulenhalle ein Raunen und Murmeln hörte, das rasch näher kam und immer mehr anschwoll. Von allen Seiten schwebten Schatten heran, lebendige Schatten. Chris glaubte Tierstimmen zu hören, Gelächter und spöttisches Gejohle. Die Schemen verdichteten sich zu grinsenden Koboldgesichtern. Grünlich wabernde, in Umhänge aus Blättern gehüllte Waldschrate wurden sichtbar, und Baumfeen, die als kleine gelbe Irrlichter umhertanzten. Mit lautem Gekreische stießen sie auf den Engel herab, und Chris konnte die Wut spüren, die sich in ihnen angestaut hatte, weil die Menschen sie schon so lange mit Missachtung straften.
    »Ich töte die Dämonen!«, schrie der kalte, weiße Engel. »Ich bin das Schwert Gottes!« Und er schwang sein weißes Flammenschwert. Jeder Erdgeist, den er erschlug, löste sich zischend in Luft auf, doch jedesmal schlüpften dafür zwei neue aus der Dunkelheit. Bald war der Engel in einen scheinbar endlosen Kampf gegen kreischende Kobolde und irrlichternde Baumgeister verstrickt, über den er Chris völlig zu vergessen schien. So heftig und geschickt er sein Schwert auch schwang, es gelang ihm nicht, die Geister zu besiegen.
    Chris musste an Karlas Worte denken: Die Heiligen und die Engel haben Angst vor den Dämonen. Und die Dämonen wollen die Heiligen und die Engel vertreiben, weil sie schon viel länger hier sind und glauben, dass ihnen dieser Platz allein gehört. Die Kirche kann nichts machen gegen die Dämonen, sie sind viel älter und mächtiger. Aber die Dämonen können auch die Engel nicht vertreiben. Sie kommen einfach nicht voneinander los. Chris glaubte wieder die lallende Stimme der vom Alkohol gebrochenen kleinen Frau im Ohr zu haben. Karla hatte wirklich das zweite Gesicht besessen.
    Und Chris wusste jetzt, warum sie hier unten war, und wer sie gerufen hatte. Die Kraft der Bärin durchströmte sie und pulsierte in ihr. Mit einem einzigen, mächtigen Ruck zerriss sie ihre Fesseln und stand auf. Die Geister trieben den wild und vergeblich mit dem Schwert um sich schlagenden Engel von ihr weg, drängten ihn zum Rand des Sonnensymbols. Der Weg war frei.
    Vor ihr, im Westen, dort, wo Bischofsweiler lag, leuchtete der Kopf der Erdnadel in grellem Blau. Die Luft summte, dröhnte und knisterte. Der Boden unter ihren Füßen schien sich in ein lebendiges, zuckendes Tier verwandelt zu haben, rings um sie prasselten Steine von der Decke herab. Chris ging auf die Erdnadel zu und streckte die Arme aus. Sie hatte die Erde gebeten ihr den Weg zu zeigen, und dieser Weg hatte Chris hierher geführt. Seit Jahrhunderten litt die Erde Schmerzen, und der weibliche Pol des Netzes war nun völlig zerstört. Das Gleichgewicht musste wiederhergestellt werden. Nur eine Frau konnte, vielleicht, doch noch eine Heilung herbeiführen.
    Das blaue Licht war heiß und blendete sie. Ich werde sterben, dachte Chris. Sie dachte an Heike und Roland, an Susanne, mit der sie gerne noch oft gelacht und herumgealbert hätte, an Jonas, den sie nie wieder sehen würde. Nie wieder würde sie unter hohen Bäumen wandern und den Duft von frisch gemähtem Heu riechen. Kleine, blaue Flammen leckten an ihren Fingerspitzen, schlängelten sich geradezu zärtlich an ihren Armen hoch. Das blaue Feuer hüllte Chris ein - und die Welt um sie herum hörte auf zu existieren.

Zehn
     
    S usanne hatte mit aller Kraft geholfen, stöhnende, verletzte Menschen aus den Trümmern zu ziehen und nicht gedacht, dass es noch schlimmer kommen könnte. Aber es kam noch schlimmer. Eine gewaltige Schockwelle lief durch die Leylinie, über der die Straße mit den durch die Gasexplosion beschädigten Häusern lag.
    Susanne wurde hochgehoben, fiel hin und schlug hart mit dem Kopf gegen die Steine. Sie sah zwei Blocks weiter den Turm einer Kirche in sich zusammenstürzen. Ein grässlicher, kreischender Summton erfüllte plötzlich die Luft und die Menschen hielten sich gepeinigt die Ohren zu. Susanne glaubte, weit
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