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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Autoren: Thomas Görden
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würde, auch selbst mit dem Gedanken gespielt, ihn anzurufen, es aber letztlich doch nicht getan. „Ich rufe, nun ja, dienstlich an. Ich leite hier inzwischen die Polizeiinspektion. Aber das hast du ja sicher schon gehört…“
    Natürlich. Wäre sie öfter nach Buchfeld gekommen, wären sie sich vermutlich ganz automatisch über den Weg gelaufen, aber sie war meistens im Park, und in ihrer Freizeit ging sie im Naturschutzgebiet oder im Itzwald spazieren, oder sie besuchte eine alte Schulfreundin, die jetzt in Bonn wohnte, und die jungen Leute auf dem Bioland-Hof oben in Bühlingen, mit denen sie sich recht gut verstand.
    „Wie geht es dir?“ fragte sie.
    „Ich… oh, es ist ganz schön, wieder in der Eifel zu sein. Ich konnte die vielen Leichen in Köln einfach nicht mehr sehen.“
    Jonas und seine Leichen. Früher war er ganz versessen auf Mordfälle gewesen, hatte unbedingt in die Fußstapfen seines Vaters treten wollen, der Hauptkommissar beim Morddezernat in Euskirchen gewesen war. Er erzählte, daß ein Rentner im Wald angeblich Wölfe gesehen haben wollte. Und sie versicherte ihm, daß das Rudel gestern bei der Fütterung noch vollzählig gewesen sei und daß den neuen, drei Meter hohen Zaun garantiert kein Wolf überspringen könne. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihm von dem rothaarigen Mann zu erzählen, der gestern am Wolfsgehege gewesen war, ließ es dann aber.
    „Bisher sind wir uns ja erfolgreich aus dem Weg gegangen“, meinte sie statt dessen und mußte dabei unwillkürlich lächeln. „Willst du nicht doch mal im Park vorbeischauen, zu Kaffee und Kuchen? Den backe ich inzwischen übrigens selber“, fügte sie nicht ohne Stolz hinzu.
    „Nanu? Du nimmst dir inzwischen Zeit zum Kuchenbacken?“
    „Ach, ich bin ruhiger geworden.“
    Nach kurzem Schweigen fragte er: „Warum bist du zurückgekommen? So wie die Leute dich hier früher behandelt haben…“
    Ja – warum? „Es gab auch ein paar, die richtig nett zu mir waren.“
    „Das stimmt“, sagte er, und sie war sich fast sicher, daß er dabei lächelte.
    „Vielleicht“, beantwortete sie seine Frage zögernd, „hatte ich Heimweh nach der Gegend, wo ich als Kind so gerne herumspaziert bin. Nach dem Itzwald, der Wacholderheide…“
    „Und? Spazierst du wieder?“
    „Ja. Anfangs war mir alles sehr fremd. Ich mußte mich erst wieder damit vertraut machen. Komm doch mal mit, so wie früher.“
    Sie konnte ihn am anderen Ende der Leitung schlukken hören, dann sagte er: „Mal sehen. Ich… komme auf deine Einladung zurück. Bis dann.“ Er legte schnell auf, ehe sie noch etwas sagen konnte.

    Während Chris am Nachmittag die tägliche Fleisch-Schubkarre zum Wolfsgehege schob, mußte sie dann doch über den Traum nachgrübeln. „Geistervision“ nannte Silver Bear solche Träume. Allerdings pflegte er über diese Dinge mit einem ziemlich bissigen Humor zu sprechen, so daß man nie genau wußte, ob er es auch wirklich ernst meinte.
    „Wolfsträumerin“ hatte das Wesen zu Chris gesagt. Diesen Namen hatte ihr Silver Bear in der Sprache seines Volkes gegeben. Sie sah ihn noch vor sich, wie er ihr den Medizinbeutel mit dem Rosenquarz, der Adlerfeder und der kleinen Wolfsfigur darin in die Hand gedrückt und gesagt hatte: „Hier, Wolfsträumerin, meine Geisthelfer haben mir mitgeteilt, daß diese heiligen Gegenstände dir helfen werden, dein Land zu heilen.“ Dabei hatte er sie ganz sonderbar angeschaut.
    Warum bin ich zurückgekommen? dachte sie. Ich hatte dieses Angebot als Hochschulassistentin. Ich hätte in Kanada wunderbar promovieren und mir als Wolfsexpertin einen Namen machen können. Hätte ihr nur Silver Bear nicht ständig damit in den Ohren gelegen, daß es ihre Bestimmung sei, in ihre Heimat zurückzukehren, daß die Menschen, Tiere und Pflanzen dort sie brauchten, daß sie die Gabe besäße, Hei-lerin und Medizinfrau zu sein… Vielleicht hätte ich einen großen Bogen um dich machen sollen, du alter listiger Indianer, dachte sie. Silver Bear hatte wissend gegrinst, als wie aus heiterem Himmel Dr. Wegmeiers Angebot gekommen war, hier im Eifelwildpark seine Stellvertreterin zu werden und das Wolfsrudel zu betreuen. Ein sonderbarer Zufall, geradezu unheimlich. Dabei kannte Wegmeier sie nur von einem kurzen Praktikum, das sie vor sechs Jahren hier im Park absolviert hatte.
    Damals, nachdem sie Silver Bear um Rat gefragt hatte, ob sie Dr. Wegmeiers Angebot annehmen solle, hatte sie zuletzt einen so verstörend klaren
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