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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gezeichneten Jungengesicht das verschattete Gesicht des Mädchens.
    Hugh Mahan war übermüdet. Nach seiner schweren Krankheit waren seine Kräfte noch nicht wieder unerschöpflich wie ehemals. Er schlief spät ein. Ein Gedanke ließ ihn auch in seinen Träumen nicht los. Wann würde das Geheimnis der Jungen und Mädchen, von dem Ron gesprochen hatte, aus ihnen herausbrechen?
    In den folgenden Tagen geschah nichts Auffälliges.
     
    Eines Freitagabends erhielt Hugh in seinem Schlafraum Besuch. Er hatte niemanden erwartet und war beim Lesen und Arbeiten. Seine Bücher und Exzerpte lagen auf dem zweiten unteren Bett, da er weder einen eigenen Tisch noch einen eigenen Stuhl besaß, und er hatte vor dem zum Arbeitstisch gemachten Nachbarbett gekniet, um seine Zettel zu ordnen. Als der Besuch eingetreten war und Hugh aufstand, erkannte er den Lehrer Ball, den er beim Pausendienst gesehen hatte und aus den Besprechungen des Lehrerkollegiums flüchtig kannte. Es war der Klassenlehrer des großen Jungen und des Mädchens, die Hugh nicht aus dem Sinn gehen wollten.
    »Äußerst bequem haben Sie es hier nicht, Mahan«, sagte Ball geradeheraus. »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«
    »Bitte.«
    »Ich bin eingefleischter Junggeselle und bewohne trotzdem ein ganzes Lehrerhaus für mich allein, seit mein Kollege Teacock vor Jahren gehen mußte. Wollen Sie zu mir ziehen?«
    Mahan antwortete nicht gleich.
    »Wenn Sie Rektor Snider meinen Vorschlag mitteilen und ihn bitten, wird er sicher zustimmen.«
    »Ich bitte nicht.«
    »Good. Dann bitte ich für Sie, und Sie folgen der neuen Anweisung. O. k.?«
    »Ich habe als Indianer gelernt, daß ich zu gehorchen und mich dem Willen der weißen Männer anzupassen habe.«
    »Also sage ich nichts zu Snider. Sind Sie nicht der Vetter von Joe King?«
    »Yes.« Hughs Ton wurde ganz abweisend.
    »Die Ähnlichkeit ist frappierend. Joe war einmal mein Schüler. Bye.«
    »Bye.«
    Lehrer Ball verließ den Raum. Zwischen Tür und Angel bot er Hugh noch an, daß er jederzeit seine Bibliothek benutzen und bei ihm arbeiten könne. Hugh nickte und kniete sich wieder vor das Bett, um seine Zettel in die gewünschte Ordnung zu bringen. Er hatte ein Buch über Soziologie gelesen und viele Fragen notiert, die der weiße Mann nicht aufgeworfen hatte und daher auch nicht beantwortete. Was sollte werden, wenn die Herde der Watschitschun alles abgegrast und mit ihren Giften verwüstet hatte und wenn sie in ihren Städten zusammenhockten, das weite Land aber, das sie den Indianern geraubt hatten, nicht mehr bewohnt wurde?
    Hugh Mahan hatte die Prärie nie vergessen, und er hatte Chicago kennengelernt.
    Es mochte nun sein, daß Ball, Senior der Lehrerschaft, doch bei Rektor Snider für Mahan etwas unternommen hatte oder daß andere auf den Gedanken gekommen waren, Mahan aus dem Schülerinternat herauszunehmen. Jedenfalls sprach Miss Hay ihren Kollegen nach der nächsten Lehrerkonferenz an.
    »Sie sind schlecht untergebracht, Mahan. Mister Ball bewohnt ein halbleeres Haus. Sollten Sie nicht zu ihm hinüberziehen? Schließlich gehören Sie als Erzieher zu uns Lehrern, nicht zu den Schülern.«
    Mahan hätte erwidern können: »Indianer gehören immer zusammen!«, aber er wußte wohl, warum er diese Antwort nicht gab. Er sagte: »Indianer bleiben immer die Schüler der Weißen. Denken Sie nicht?«
    Miss Hay war verblüfft und nicht zum Schlag fertig. Sie spann nur weiter aus: »Ein gutes Haus oder Apartment gehört nun einmal zur Autorität. Sie sind zu schlecht untergebracht, Mahan.«
    »Ah. Das interessiert Sie.«
    Mahans Worte hatten den Klang einer Pistole mit Schalldämpfer angenommen; sie waren schnell, feindselig, abgeschirmt gesprochen, und sie hatten getroffen.
    Miss Hay wurde unter ihrer durchsichtigen Haut rot bis in die Augenlider und zu dem Ansatz der braunroten Locken. Sie wandte sich um und ging weg.
    Das eben hatte Hugh erreichen wollen.
    Er ertrug es nicht, sie über seine Angelegenheiten reden zu hören.
    Um eben diese Zeit erhielt Miss Bilkins einen ersten Bericht über Hugh Mahan. Sie erfuhr, daß man über seine Arbeit mit den rückversetzten Beginnern und den Zwillingen King sowie über seine Arbeit beim Nachmittagssport bis jetzt nichts Nachteiliges sagen könne, daß er jedoch im Kollegenkreise ein Fremdkörper geblieben und kaum ansprechbar sei. Das müsse sich unbedingt ändern.
     
    Wieder einmal hatte ein Schultag begonnen.
    Es war zehn Uhr morgens. Die von allen gefürchtete
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