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Wellenzauber

Wellenzauber

Titel: Wellenzauber
Autoren: Brigitte Johann
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Nachbartischen ein paar Leute umdrehten. »Er ist … er war viel mehr als das«, fügte sie leise hinzu.
    »Ach so«, meinte Kerstin, die gar nichts verstand.
    Sina traf eine Entscheidung. »Komm heute Abend zu mir. Wir bestellen uns Pizza, und dann erzähle ich dir alles über Federico.«
    »Pizza klingt gut«, erwiderte Kerstin, aber ihr war anzusehen, dass ihre Neugierde diesmal größer war als ihre Esslust.
    Dottore Federico Bergmann verließ das Hotel Bellavista bei Portisco am südlichen Zipfel der Costa Smeralda und lief in Richtung Parkplatz. Doch kurz bevor er sein Auto erreichte, bog er ab, folgte einem Pfad durch einen kleinen Pinienhain und erreichte kurz darauf die Küste. Nur fünf Minuten, dachte er und sah hinaus auf das glasklare, smaragdgrüne Mittelmeer, auf dem am Horizont weiße Segelyachten tanzten. Nur fünf Minuten Pause von nervösen deutschen Touristinnen, die seine Hilfe brauchten. Seit zehn Jahren praktizierte er jetzt als Frauenarzt auf Sardinien, und obwohl seine Mutter Eleonora aus Olbia stammte, hatte er sich seinen guten Ruf unter den Einheimischen hart erarbeiten müssen. Die meisten seiner Patientinnen kamen nach wie vor aus der alten Heimat.
    Die alte Heimat. Federico ballte unbewusst die Fäuste. Er hatte gehofft, mit den Jahren könnte er vergessen. Er hatte sich getäuscht. Deutschland, München und vor allem die kleine Stadt in Niedersachsen, in der er studiert hatte, würden immer seine Heimat bleiben, sosehr er sich auch bemühte, auf Sardinien Wurzeln zu schlagen. Federico war in Deutschland geboren und hatte die Insel als Kind nur in den Ferien besucht. Aber als er sich entschloss, für immer auf Sardinien zu leben, hatte er geglaubt, inmitten einer traumhaft schönen Natur und im Kreise warmherziger Menschen schnell heimisch zu werden.
    Ein Irrtum, wie er bald zugeben musste. Die weißen Sandstrände, die abgeschiedenen Buchten und der hohe Himmel über dem klaren Wasser gehörten irgendwann zu seinemAlltag, und die Menschen waren anfangs alles andere als warmherzig. Insulaner eben, eine geschlossene Gesellschaft. Fremde waren hier als zahlende Touristen willkommen, aber nach der Saison blieb man unter sich, so, wie es seit Jahrtausenden üblich war. Ein Mann aus Deutschland war zunächst einmal ein Fremder, selbst wenn seine Mutter Sardin war. Zumal er nur wenig Italienisch und gar kein Sardisch sprach. So einem eingebildeten Tedesco trauten die Leute erst einmal nicht über den Weg. Aber mit den Jahren war es besser geworden, und Federico hatte sogar ein paar lockere Freundschaften geknüpft. Nur, wirklich heimisch fühlte er sich nicht.
    Der Mistral, ein scharfer Wind aus Nordwest, den sie hier Maestrale nannten, fuhr ihm durchs Haar. Er fegte den Duft nach Thymian, Rosmarin und Oleander fort und brachte das Versprechen nach schweren Wolken und Regen mit.
    Federico dachte an ein junges Mädchen im fernen Deutschland. Er sah wieder die großen unwettergrauen Augen vor sich, am Anfang voll kindlicher Zuneigung, später voller Liebe und schließlich beinahe schwarz vor Enttäuschung — und er begriff erst in diesem Moment die Wahrheit: Seine Heimat, das war kein Land und keine Stadt. Seine Heimat war Sina Paulsen, und er hatte sie schon vor langer Zeit verloren, als er sie bitter enttäuscht hatte.
    Federico Bergmann war ein großer, kräftiger Mann, aber als er jetzt kehrtmachte und über vertrocknete, leise knackende Piniennadeln zum Parkplatz zurückging, wirkte er schmaler als sonst, gebeugt unter der Last seiner Schuld.
    In seinem Rücken peitschte der Maestrale das eben noch so ruhige Meer auf. Wellen erhoben sich und spritzten ihre Gischt in die Luft, während die Möwen kreischend ihre Nester an der nächsten Felsenklippe aufsuchten.
    Hätte Federico sich einmal umgeschaut, so hätte er denken können, die Wellen wollten ihm nach, ihn einfangen und zu sich ins Wasser ziehen. Aber er warf keinen Blick zurück.

2. Kapitel
    »Stell dir vor«, sagte Kerstin und ließ sich mit einem Seufzer in Sinas bequemsten Sessel fallen. »Deine kleine Patientin von heute früh hat ihr Baby in null Komma nichts auf die Welt gebracht. Die Warnecke und ich haben es nur knapp geschafft, sie überhaupt noch in den Kreißsaal zu bringen. Kaum waren wir angekommen, ging’s auch schon los. Die Frau Generalin Mutter hatte gar keine Zeit mehr, noch rumzumeckern.«
    Sina nickte zufrieden. Im nächsten Moment sah sie ihrer Kollegin nervös dabei zu, wie sie aufstand und zum Bücherbord
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