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Weites wildes Land

Titel: Weites wildes Land
Autoren: Shaw Patricia
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der Seemänner fuhr den Bärtigen an: »Seit wann kümmert dich das? Du hast doch nur Angst um deine eigene Haut!« »Auf was warten wir noch?« fragte Sibell. Die Männer wandten sich um und starrten sie entgeistert an. »Wir können doch nicht den ganzen Tag hierbleiben«, sagte sie. »Nun rudern Sie uns doch endlich an diesen Strand!« Plötzlich brachen die Männer in lautes Gelächter aus, sogar der ungehobelte Bursche, der in der Nacht noch gedroht hatte, er würde Sibell über Bord werfen. »Die Dame hat gesprochen. Also, los, auf geht's!« »Nicht so hastig.« Der Bärtige wandte sich an Sibell. »Halten Sie gefälligst den Mund! Sie haben ja keine Ahnung, wovon Sie reden!« »Doch. Sie haben Angst vor den Wellen, und dabei haben wir alle in diesem Boot schon viel Schlimmeres überstanden.« »Das kann man doch nicht vergleichen«, fuhr er ihr ungeduldig über den Mund. »Das vor uns sind sechs Meter hohe Brecher und nicht nur Wellen, hoch wie ein zweistöckiges Haus, und wenn wir Pech haben, werden wir alle von ihnen zerschmettert. Also mischen Sie sich besser nicht weiter ein!« »Warum nicht«, widersprach Sibell. »Anscheinend sind Sie ja unfähig, zu einem Entschluß zu kommen. Vielleicht sind die anderen schon längst am Strand.« »Du meine Güte! Jetzt ist sie übergeschnappt!« sagte der Bärtige. »Rudern wir doch noch ein Stück nach Süden.« »Warum nach Süden?« wollte ein Mann namens Taffy wissen. »Perth liegt im Norden.« »Das stimmt nicht«, fuhr ein anderer Seemann dazwischen. »Gruber hat gesagt, wir wären vom Kurs abgekommen und befänden uns nördlich von Perth.« Sibell hörte zu, wie sich die Männer stritten, während die beiden alten Ehepaare wie benommen dasaßen und sich bei den Händen hielten. Die geistig verwirrte Frau fing wieder an zu schreien. Dann war die Entscheidung plötzlich gefallen. Nach dem Ruf: »Zu den Rudern, Kameraden!« zuckte der bärtige Mann die Achseln, spuckte in die Hände und griff sich ein Ruder. Sibell stürzte zu den Passagieren und weckte einen nach dem anderen aus einer Erstarrung. »Wacht auf!« schrie sie. »Wacht auf und haltet euch fest!« Sie nahm ihre Leidensgenossen bei den Händen und bedeutete ihnen, sich am Bootsrand festzuhalten. »Die Männer wollen uns an den Strand bringen, und das könnte gefährlich werden.« Die Ruderer wendeten das Boot zur Küste, und sogleich glitt es wie schwerelos auf den goldenen Sand zu. Von der ersten großen Woge, die sie erfaßte, wurden sie nach oben getragen, so daß sie, festgeklammert an die Bootswände, einen Blick auf eine im blauen Dunst liegende Bergkette in der Ferne werfen konnten. Auch das Wellental war nicht so schlimm wie befürchtet, außer daß die Ruderer nicht mehr gegen die Strömung ansteuern konnten, da ihnen die Ruder fast aus den Händen gerissen wurden. Wieder wurden sie nach oben getragen. Die Ruder griffen ins Leere, stachen wirkungslos in die salzige Gischt, und Sibell empfand die Geschwindigkeit, mit der die gewaltige Woge sie auf ihren Schultern zum sicheren Ufer trug, wie einen Rausch. Die warme Seeluft streichelte ihr Gesicht; Schaumflocken wurden an ihr vorbeigeweht. Dann kam das nächste Wellental, und sie verloren die Küste wieder aus der Sicht. Sibell hatte keine Angst. Dies war die aufregendste Fahrt ihres Lebens, eine Fahrt, die sie in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod führte und die sich von allem unterschied, was sie bis dahin erlebt hatte. Das tiefgrüne Meer unter ihr funkelte so kristallklar, daß sie schon fast versucht war, in seine verlockenden Tiefen hinabzutauchen. Eine Delphinfamilie schloß sich ihnen an und maß ihre Kräfte mit denen der vier Ruderer, die die Blätter nun wieder tief ins reißende Wasser tauchten, um den Rücken des nächsten Brechers zu erklimmen. Verzweifelt versuchten sie, den höchsten Punkt zu erreichen, bevor ihre Massen sich zu einer neuen Woge aufgetürmt hatten. Denn inzwischen waren sie dem Strand so nahe gekommen, daß eine jede von ihnen ihre Rettung sein konnte. Die Delphine sprangen in die Luft und tauchten wieder ins Wasser. Sie ließen sich von der Dünung tragen. Dann setzten sie sich vor das Boot, als wollten sie die Ruderer davon abhalten, auf den Punkt zuzusteuern, an dem sich die Wellen brachen. Sibell bestaunte diese fröhlichen Geschöpfe, die so wissende Augen hatten. Sie hätte den Arm ausstrecken und sie streicheln können, wenn das Boot von der Brandung nicht so schnell fortgerissen worden wäre.
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