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Weiß wie der Tod

Weiß wie der Tod

Titel: Weiß wie der Tod
Autoren: Roman Rausch
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derselben kindlichen Melancholie.
    Überschrift: Tausche Sehnsucht gegen Perlmutt.

12
    Levy stand am Fenster und blickte hinunter auf das sturmumtoste Dock 11. Das Wasser klatschte gegen die Hochwasserbegrenzungen. Die wütende Elbe würde nicht eher zur Ruhe kommen, bis sie die letzte Leiche ausgespuckt hatte.
    Levy führte das Glas an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Aus den Computerboxen dröhnte Bury the Evidence von Tricky.
    Life’s like a blow to my head. It doesn’t move me, it’s just a movie.
    Das Stück lief auf Repeat. Ein ums andere Mal. Es würde ihn die Nacht hindurch begleiten.
    Wodka und Musik. Zwei treue Gefährten auf seinem Weg.
    Die Akten zu den Todesopfern lagen noch unberührt auf der Festplatte. Noch war er nicht so weit. Noch tobte der Sturm in ihm. Der Wodka würde diese Hürde nehmen. Auf ihn war Verlass. Es war alles nur eine Frage des Hochwassers. Wodka, das Wässerchen, würde ihn in die Arme schließen und klar denken lassen. Hab Geduld. Nimm noch einen Schluck. Verschütte nichts. Koste jeden Tropfen.
    Erleichterung breitete sich in ihm aus, als es so weit war. Der letzte Tropfen schlug wohltuende Wellen in seinem Inneren.
    Levy setzte sich an den Computer und öffnete den Ordner. Er fand drei Dateien.
    Alexej hatte den Opfern die Namen aus dem evangelischen Heiligenkalender gegeben, damit sie für die interne Kommunikation leichter zu unterscheiden waren.
    Am Fundtag der ersten Leiche war Polykarp, am Tag der zweiten, einer zerstückelten Frauenleiche, war Johann, also Johanna, und am dritten Patrick.
    Levy parkte Johanna an der Seite. Zuerst widmete er sich den beiden Rohrstockopfern.
    Polykarp, ein männlicher Weißer Mitte zwanzig, wurde an den Rugenberger Schleusen aus dem Wasser gezogen. Laut Obduktionsbericht hatte er rund drei Wochen im Wasser gelegen. Todeszeitpunkt: eine Woche davor. Keine Anzeichen, dass er verscharrt gewesen wäre, ebenso fehlten Anzeichen einer Fixierung, die ihn unter Wasser gehalten hätten.
    Der Täter legte nicht viel Wert darauf, dass sein Opfer unentdeckt blieb, schloss Levy daraus. Im weitläufigen Hamburger Wassernetz wäre es ein Leichtes gewesen, einen Körper verschwinden zu lassen.
    Polykarp trotzte allen Versuchen der Identitätsfeststellung. Eine Tätowierung am linken Oberarm, die eine Frau mit langem Haar auf einer Feuerwalze zeigte, war der einzige Anhaltspunkt. Naima, die die beiden Fälle bearbeitete, hatte bislang mit der Identifizierung keinen Erfolg gehabt – sein Gesicht war durch das Wasser aufgeschwemmt, die Augen quollen heraus, und die Gesichtsfarbe wirkte alles andere als gesund.
    DNA und Gebissschema hatten keinen Treffer in den Datenbanken erbracht; ebenso wenig in der Vermisstendatei.
    Das Opfer musste alleinstehend und ohne feste Beschäftigung oder auf ausgedehnte Urlaubsreisen gegangen sein. War das ein erster Anhaltspunkt für das Opferprofil? Suchte der Täter Männer, die nicht so schnell vermisst würden?
    Doch irgendwann wird jeder vermisst, früher oder später. Über die zeitliche Komponente machte sich der Täter offensichtlich keine Gedanken. Das sprach für ein starkes Selbstbewusstsein, oder er dachte nicht groß darüber nach. Nein, das konnte es nicht sein, sagte sich Levy. Wer einen gesunden, starken Mann über Stunden quält, muss nicht nur über physische, sondern auch über die nötige psychische Kraft und Ausdauer verfügen. So jemand wusste, was er wollte – vor der Tat und danach. Dieser Täter ging nach einem festen Plan vor. Er musste genau wissen, wie er den toten Körper ohne Gefahr im Wasser entsorgen konnte. Das bedeutete, dass der Tatort nicht weit vom Wasser entfernt liegen konnte. Außerdem musste er sich dort ungestört fühlen. Die Misshandlungen gingen über Stunden. Die Schreie des Opfers müssten eigentlich Nachbarn alarmieren.
    Doch wie hatte es der Täter geschafft, ungehindert auf das Opfer einzuschlagen? Hier handelte es sich um einen gesunden und kräftigen Mann. Zudem gab es keine Anzeichen der Fixierung oder eines Betäubungsmittels. Somit blieb nur Kampfunfähigkeit – oder der freie Wille.
    Dragan hatte rund hundert Stockschläge an Polykarp gezählt. Manche waren so heftig ausgeführt worden, dass sie die Haut zum Platzen gebracht hatten. Das hatte nichts mehr mit masochistischen Praktiken zu tun.
    Die Leber war eingerissen. Ein stumpfer Gegenstand hatte dies bewirkt. Ob die Verletzung durch Tritte, Schläge oder eine Waffe zugefügt worden war, ließ sich nicht
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