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Was Farben sagen

Was Farben sagen

Titel: Was Farben sagen
Autoren: Isabelle Wolf
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eine vordergründige Ruhe sein kann. Grün ist tatsächlich ruhig und ausgeglichen. Es hält die Balance zwischen nach vorne preschendem Gelb und in den Hintergrund flüchtendem Blau, die sich gegenseitig ausbremsen und in Grün zum Stillstand kommen. Einem eher trägen Grün genügt es, die beiden gegensätzlichen Energien auszutarieren und das Gleichgewicht zu halten.
    Die Ruhe von Rot hingegen ist in Wirklichkeit komprimierte Energie, in einem Punkt gebündelt. Diese geballte Kraft kann nur mühsam im Zaum gehalten werden, sie will in Aktion treten. Rot lauert. So wirkt die Farbe zwar auf den ersten Blick ebenfalls ruhend und statisch, doch ihre unglaubliche innere Kraft ist nicht zu übersehen. Rot pulsiert, scharrt mit den Hufen– wenn auch auf der Stelle.
    Denn auch ein Rot bewegt sich nicht vom Fleck, sondern in ihm liegt lediglich der Wille zur Aktion. Bewegung entsteht erst, wenn der schnelle Impuls von Gelb auf das unverrückbare Rot trifft und daraus quirliges Orange entsteht. Oder wenn sich Rot mit Blau verbindet und in die mystischen Tiefen von Violett hinabsteigt. Reines Rot allerdings ist die Urkraft, die zwar auf der Stelle tritt, aber ein unerschöpfliches Kraftreservoir in sich birgt. Das Bedeutungsspektrum von Rot reicht daher von Liebe bis Krieg, von Leidenschaft bis Hass– es ist ungerichtete reine Kraft, die erst durch die Kombination mit anderen Farben eine Richtung erhält.
    Roter Punkt und rotes Quadrat    Rot ist demnach in erster Linie formlose, reine Energie, die sich an einer Stelle konzentriert, weshalb ihm der Punkt als Symbol zugeordnet wird. So scheint es zunächst wie ein Widerspruch, formloses Rot auch mit dem ruhenden Quadrat in Verbindung zu bringen. Dennoch umschreibt dessen starre Form am besten die Qualität von ebenso starrem Rot, zu dem man am Bauhaus lehrte: » Die Farbe steht in der Fläche.« Sein Komplementär Grün ist offen für Veränderungen, dominantes Rot hingehen nicht. Rot ist, und Rot bleibt. Man empfindet, so Johannes Itten, auch eine starke Spannung beim Zeichnen der starren Linien und rechten Winkel eines Quadrates, was sehr genau der angespannten, lauernden Qualität von Rot entspricht.
    Solides, stämmiges Rot drückt sich daneben generell in einer gewissen Statik und Schwere sowie in einer kraftvollen Formensprache aus, die konzentrierte Energie ausstrahlt. Rot entsprechen maskuline, dominante Formen, die hart, eckig und präsent wirken. Es steht außerdem für die niedrigen Basisformen wie schlichte Holzblöcke, die zwar auffällig, aber einfach gehalten sind– so urwüchsig wie die Farbe selbst.
    Parallelen zur Romanik     In diesem Zusammenhang bietet sich der Vergleich mit der Romanik an, die mit ihren trutzigen, schweren Bauten in massivem Stein in mehr als einer Hinsicht der Qualität von klarem Rot entspricht. Die ausgeprägte Sicherheit und Ruhe, die Rot eigen ist, bildet der romanische Stil mit seiner wehrhaften Architektur und ihrem charakteristischen Ebenmaß ab. Auch die geometrischen Bauelemente, die große Ausdruckskraft der Bauwerke sowie deren einfache und teils grobe Formensprache tragen » rote« Züge. Genauso » rot« ist die wuchtige Monumentalität, die beispielsweise romanische Basiliken, Sinnbilder der Macht, mit ihrer massigen Bauweise und ihren mächtigen Türmen ausstrahlen.
    Vokabeln
    Materie, substanziell, grobstofflich, statisch, präsent, ruhend, dominant, kühn, provokant, direkt, kraftvoll, Urkraft, urwüchsig, ursprünglich, primitiv, wild, hitzig, feurig, leidenschaftlich, auf- und erregend, intensiv, selbstbewusst, vital, irdisch, nah, massiv, kompakt, komprimiert, lauernd, trutzig, Mittelpunkt, unübersehbar, kompromisslos, unverrückbar, territorial, fordernd, Virilität, Potenz, Durchsetzungskraft, Macht, Ego, maskulin.
    Vitale und selbstbewusste Persönlichkeiten    Rot kann vor diesem Hintergrund nur die Farbe von selbstbewussten, vitalen Persönlichkeiten sein, die gerne im Mittelpunkt stehen. Es kennzeichnet Menschen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen und eine unantastbare Selbstsicherheit ausstrahlen, die sich nicht zuletzt aus ihrem ausgeprägten Körperbewusstsein herleitet. Diese Menschen sind sinnlich und sich ihres Körpers stets bewusst, sie fühlen sich darin absolut zu Hause– und genießen es. Sie haben eine starke, extrovertierte
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