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Was du nicht weißt: Roman (German Edition)

Was du nicht weißt: Roman (German Edition)

Titel: Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Autoren: Claus Beling
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sagte Debbie, »du kannst beruhigt sein. Ich komme wegen einer anderen Sache.«
    Sie zog die Zeitung aus ihrer Handtasche, faltete sie auseinander, schob Olivers Teller zur Seite und breitete die Seite mit dem Foto der Ermordeten vor ihm aus.
    »Kennst du diese Frau?«
    Gehorsam stierte Oliver auf das Foto. Für einen Moment hatte Debbie den Eindruck, als würde Wut über sein Gesicht huschen, während er die Kiefer aufeinanderpresste. Doch als er wieder aufblickte, war nichts mehr davon zu sehen.
    Kopfschüttelnd sagte er: »Nie gesehen. Wieso glaubst du, dass ich sie kenne?«
    »Weil ich mich erinnert habe, dass die Frau bei Davids Beerdigung war.«
    Mit einer fahrigen Handbewegung winkte Oliver ab. »Quatsch … Hör endlich auf, immer in der alten Geschichte rumzurühren … Hey Baby, das ist nicht gut für dich, glaub mir …«
    Sie atmete tief durch. Traurigkeit klang aus ihrer aufgebrachten Stimme. »Alte Geschichte? Oliver, es geht um mein Kind! Siehst du ihn noch vor dir? Wie er geweint und gewimmert hat, bis er tot war? Ja?«
    Oliver hielt sich die Ohren zu. Seine langen Fingernägel starrten vor Dreck. »Hör auf! Wie kann ich das vergessen?«
    »Dann sag mir jetzt die Wahrheit. Du kennst das Mädchen. Ich hab’s dir angesehen.«
    Auf seinem Stuhl vor und zurück wippend, schaute er sie eine Weile schweigend an. In seinen Mundwinkeln stand Spucke. Debbie ertappte sich dabei, wie sie sich vor ihm ekelte. Das war nicht mehr der Oliver, der ihr immer aus der Patsche geholfen hatte. Sie hatte den Verdacht, dass er seit einiger Zeit Drogen nahm.
    Plötzlich war es ihr egal, wie abgewrackt er vor ihr saß. Er sollte sich gefälligst fünf Minuten zusammennehmen.
    »Ich kriege jetzt eine Antwort von dir, okay? Oder ich rufe deinen Vater an und erzähle ihm, wie du hier vor die Hunde gehst.«
    Das wirkte. Oliver erschrak. Vor seinem Vater, einem stiernackigen Vorarbeiter, hatte er immer noch große Angst. Seit Jahren ging er ihm aus dem Weg.
    Kleinlaut sagte er: »Also gut, meinetwegen … Kann sein, dass du recht hast … Dass die Polin da war, meine ich …«
    »Wer hat sie mitgebracht?«
    »Keine Ahnung.«
    »Du lügst, Oliver.«
    Er protestierte mit weinerlicher Stimme. »Hey, hab ich mich nicht immer super um deinen Sohn gekümmert? Ist das jetzt der Dank dafür?«
    »Darum geht es nicht. Du lügst, und ich will wissen, warum. Was hatte diese Polin mit meinem Kind zu tun?«
    »Bitte hör auf zu fragen«, bettelte Oliver. »Du machst alles nur noch schlimmer.«
    Debbie wurde wütend. Mit einer schnellen Bewegung beugte sie sich über den Tisch, packte ihn am Kragen seiner Jeansjacke und schüttelte ihn heftig.
    »Sag’s mir, verdammt noch mal! Was ist damals mit meinem Kind passiert? Und wie hängt das mit der Toten zusammen?«
    Sie konnte sehen, wie die Farbe aus Olivers Gesicht wich. Auf einmal war er kalkweiß. Es schien ihn unendlich viel Überwindung zu kosten, weiterzureden. »Kannst du dir nicht denken, wer da seine Finger im Spiel hat?«, sagte er schließlich. »Der Scheißkerl hat unser Leben ruiniert …«
    Stockend begann er zu erzählen.
    Mit aufgerissenen Augen hörte Debbie ihm zu. Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund.
    Eine Insel der Sicherheit.
    Richter Willingham verzog gequält das Gesicht, als er den Satz in der Zeitung las.
    Noch vor einem Jahr hatte der Justizsprecher mit dieser Formulierung die verschwindend geringe Verbrechensrate auf Jersey in höchsten Tönen gelobt. Dass die Presse ihn jetzt auf bissige Weise damit zitierte, konnte ja nicht ausbleiben.
    Die Jersianer waren verdammt hart im Austeilen, wenn man sie in ihrem gemütlichen Alltag störte. Ihr höchstes Gut war die Freiheit. Das hatten sie von ihren Vorfahren, den Normannen, geerbt. Nicht nur der Reichtum an französischen Familiennamen auf Jersey und das nur noch selten gesprochene Jèrriais zeugten bis heute von dieser historischen Verwandtschaft. Auch wenn das Jersey-Französisch schon lange der englischen Sprache gewichen war – in den Namen der Verwaltungsbezirke, Orte, Straßen und Häuser spiegelte sich der französische Geist der Insel noch immer wider.
    Niemand wusste das besser als Richter Willingham. Nach so vielen Jahren als Strafrichter war er ein exzellenter Kenner seiner Landsleute. Mochte die Insel heute auch für viele nur ein Steuerparadies sein – in ihrem Herzen waren die jerseymen Menschen geblieben, die stets eine Krume Erde in der Tasche hatten. »Inselbewohner voller Selbstvertrauen, mit
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