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Warme Welten und Andere

Warme Welten und Andere

Titel: Warme Welten und Andere
Autoren: James Jr. Tiptree
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Immer schon hatte er eine kümmerliche Rednerstimme gehabt, aber gewöhnlich drückte er seine Gedanken mit der hellen Klarheit aus, die für den erstklassigen Denker so typisch ist. Diesmal wirkte er verworren, schien wenig Neues zu sagen zu haben. Seine Zuhörer entschuldigten das als Auswirkung der Geheimhaltungsauflagen. Ain verstrickte sich dann in eine wirre Abhandlung über den Gang der Evolution, in der er klarmachen zu wollen schien, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Als er schließlich eine Anspielung auf Hudsons Glockenvogel machte, der ›für eine spätere Rasse singt‹, fragten sich einige Zuhörer, ob er vielleicht betrunken sei.
    Der große Riß in der Geheimhaltung kam ganz zum Schluß, als er plötzlich begann, die Methoden zu beschreiben, mit denen er einen Leukämie-Virus mutiert und neu aufgebaut hatte. Er erklärte den Vorgang mit bewundernswerter Klarheit in vier Sätzen und hielt inne. Gab dann eine knappe Beschreibung der Wirkung der mutierten Viren, die nur bei den höheren Primaten maximal sei. Die Genesungsrate bei den niedrigeren Säugetieren und anderen Arten läge dicht bei 10Prozent. Was Überträger angehe, fuhr er fort, so kämen alle warmblütigen Tiere dafür in Frage. Und außerdem, der Virus bleibe in den meisten Umweltmedien lebensfähig und bewege sich sehr gut in Luft. Die Ansteckungsrate sei extrem hoch. Fast lässig fügte Ain hinzu, kein Test-Primat oder versehentlich mit dem Virus in Berührung gekommener Mensch habe den zweiundzwanzigsten Tag überlebt.
    Diese Worte fielen in ein Schweigen, das nur vom Laufschritt des ägyptischen Delegierten gebrochen wurde, der zur Tür stürzte. Dann kippte ein vergoldeter Stuhl um, als ein Amerikaner ihm nachsetzte.
    Ain schien nicht zu merken, daß seine Zuhörer in einem Zustand ungläubiger Gelähmtheit waren. Es war alles so schnell gekommen: ein Mann, der seine Nase geputzt hatte, starrte stieläugig an seinem Taschentuch vorbei. Ein anderer, der gerade eine Pfeife angezündet hatte, grunzte, als seine Finger versengt wurden. Zwei Männer, die an der Türe plauderten, hatten seine Worte vollständig versäumt, und ihr Lachen klang in ein tödliches Schweigen hinein, in dem Ains Worte nachhallten:
    »… braucht wirklich gar nicht erst versucht zu werden.«
    Später fanden sie heraus, daß er erklärt hatte, der Virus benutze die körpereigenen Immunisierungsmechanismen, und Abwehr sei so per definitionem sinnlos.
    Das war alles. Ain blickte sich vage nach Fragern um und schritt dann durch den Mittelgang. Bis er die Tür erreicht hatte, waren die Leute auf den Beinen und schwärmten ihm nach. Er fuhr herum und sagte ziemlich böse: »Ja, natürlich ist das falsch, sehr falsch. Das habe ich Ihnen gesagt. Wir handeln alle falsch. Jetzt ist es vorbei.«
    Eine Stunde später merkte man, daß er verschwunden war; offenbar hatte er sich einen Sinair-Flug nach Karachi reserviert.
    Die Geheimdienstleute faßten ihn in Hongkong. Da schien er schon sehr krank zu sein und folgte ihnen friedlich. Sie begannen den Rückflug in die Staaten via Hawaii.
    Seine Bewacher waren zivilisierte Menschen; sie sahen, daß er sanft war, und behandelten ihn entsprechend. Er hatte weder Waffe noch Drogen an sich. In Osaka führten sie ihn an Handschellen zu einem Spaziergang hinaus, ließen ihn seine Brocken an die Vögel verteilen, und interessiert lauschten sie seinem Bericht über die Wanderroute des gewöhnlichen braunen Sandpfeifers. Er war sehr heiser. Zu diesem Zeitpunkt wollte man ihn nur wegen der Geheimhaltungssache haben. Von einer Frau war überhaupt nicht die Rede.
    Während des größten Teils des Fluges döste er, aber als die Inseln in Sicht kamen, preßte er seine Stirn ans Fenster und fing an zu murmeln. Dem Geheimdienstmann hinter ihm dämmerte zum ersten Mal, daß eine Frau im Spiel war, und er schaltete seinen Recorder ein.
    »… Blau, blau und grün, bis man die Wunden sieht. Oh, mein Mädchen, schönes Mädchen, du wirst nicht sterben. Ich laß dich nicht sterben. Ich sage dir, Mädchen, es ist vorbei… Ihr strahlenden Augen, schaut mich an, ich will euch lebendig sehen! Große Königin, mein süßer Körper, mein Mädchen, habe ich dich gerettet?… Oh, furchtbar zu wissen und erhaben, Chaos’ Kind in grüner Robe, in blau’ und goldenem Licht… der hingeworf’ne Ball des Lebens, alleine kreisend im All… Hab’ ich dich gerettet?«
    Im letzten Abschnitt des Fluges hatte er offensichtlich schon Fieber.
    »Vielleicht hat
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