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Wanted

Wanted

Titel: Wanted
Autoren: Jörg Juretzka
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zu. Jegliches Gespräch erstarb. Alle Augen im Raum richteten sich auf mich.
    »Tach auch«, sagte ich. »Allerseits.«
    Jemand japste. Ein Rasiermesser fiel klackernd zu Boden.
    »Er könnte es sein«, beharrte der Bürgermeister und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Er sieht dem Mann auf dem Steckbrief ähnlich.«
    »Jeder sieht dem Steckbrief ähnlich«, seufzte der Sheriff und lehnte sich weiter in seinem Stuhl zurück. »Das ist ja das Schöne daran, Thysson. Sonst kämen wir ja kaum noch zum Hängen, wenn es anders wäre.«
    »Und falls er es wirklich ist?«
    »Dann muss er her geflogen sein.« Der Sheriff ahmte mit den Armen schlagende Flügel nach und sah für einen Augenblick einem Vogel mit weißem Gefieder nicht unähnlich. Mit weißem Gefieder und einem knallroten Schnabel vornedran. »Erst letzte Woche hab ich telegrafisch nachgefragt, und da war er noch unten im Süden fleißig dabei, in einem schicken, gestreiften Anzug aus großen Steinen kleine zu klopfen.«
    »Trotzdem seltsam. Ich meine den Zeitpunkt. Wenn er es doch wäre ...«
    »Kein Mensch kann so schnell reiten«, versicherte der Sheriff nach einem kontemplativen Weilchen.
    »Oder«, korrigierte er sich ein weiteres Weilchen später, »präziser ausgedrückt: Kein Pferd könnte eine solche Distanz in so -«
    »Angenommen«, unterbrach ihn der Bürgermeister, »ich finde jemanden, der ihn zweifelsfrei erkennt?«
    Der Sheriff legte die Hände in den Nacken und schürzte nachdenklich die Lippen.
    »In Millstone müsste es davon reichlich geben«, seufzte er. »Ist bloß kein Hinkommen zurzeit.«
    »Ich hatte an die Gebrüder Jones gedacht.«
    »Langsam, Bürgermeister.« Der Nachteil mit den Jones-Brüdern war, dass sie das Ähnlichkeitsprinzip der Steckbriefe in gewisser Weise verinnerlicht hatten. Ihre Identifizierungsmethode steckbrieflich Gesuchter war die effizienteste der ganzen Gegend. Und nebenbei die schrothaltigste. »Bisher sind wir hier in Buttercup noch ganz gut ohne deren Hilfe zurechtgekommen.«
    »Sheriff, für mich steht hier in drei Tagen einiges auf dem Spiel. Deshalb noch mal meine Frage: Was ist, wenn ich jemanden finde, der ihn kennt und erkennt?«
    Sheriff Starski nahm die Füße vom Schreibtisch und beugte sich vor.
    »Dann teilen wir die Belohnung und knüpfen ihn auf«, sagte er. »Und scheiß auf seinen Doppelgänger im Süden.«
    Was mir immer auffällt, wenn ich mal wieder für 'ne Woche oder so kein Dach über dem Kopf hatte, ist, wie sehr so ein Saloon doch stinkt. Kautabakrotz, schales Bier, Kuhmist, Männer- und Pferdeschweiß, verschütteter Fusel, billige Zigarren, Waffenöl.
    Je schwerer das Aroma, so sagt man, desto besser der Laden.
    Der Boothill Saloon von Buttercup, North Carolina, war somit, wenn man seiner Nase trauen durfte, eine der ersten Adressen, fünf Sterne und keiner weniger.
    Trotzdem, viel war nicht los. Ein paar Siedler lehnten am Tresen und tranken sich Mut an für die Huren im hinten raus gelegenen Kitten Club, bevor es mit zehn Rollen Draht wieder zurückging zur Mutti in die Siedlung. Ich hatte ihre Ochsen- und Maultiergespanne draußen gesehen. Draht, immerzu Draht. Erst überziehen sie das ganze Land mit ihren Zäunen und dann ihre Nachbarn mit Klagen.
    An einem Tisch rechts von mir saßen drei Mann in Anzügen, rauchten und spielten Karten. Eisenbahn- oder Mineningenieure, sowas in der Art.
    Ich nickte Bro Ho zu, der kaum von seiner Zeitung aufblickte. Und Shits schien sich nicht satt sehen zu können an dem Geierfestmahl draußen auf der Straße. Hatten sich kaum verändert seit dem letzten Mal die beiden. Bro Ho mit seinem, sagen wir mal, gutmütigen Gesicht über einem Rahmen, in dessen Schatten gleich ein halbes Dutzend Mexe Siesta halten könnte, und der schmale, nervöse Shits mit den Augen und Reflexen eines Fliegen fangenden Reptils.
    Beide schienen es für opportun zu halten, mich nicht zu kennen oder zu erkennen.
    Eine nicht von der Hand zu weisende Spannung hing im Raum.
    Aber vielleicht lag's auch an meinem Sechstagebart. Dass sie mich nicht erkannten, meine ich.
    Ein Drink, dachte ich, erst mal ein Drink. Dann ein Bad, dann eine Rasur, dann ... Mann, war ich müde.
    Weiter hinten, direkt vor dem Frisierspiegel, stand der Fulltime-Schwarzbrenner, Teilzeit-Barkeeper und Nebenerwerbs-Barbier Pancho, steif wie ein Totempfahl, die Augen auf einen Revolverlauf fixiert, der unter dem Umhang auf dem Rasiersitz hervor direkt auf seinen Nabel gerichtet war.
    »Du hast mich
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