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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition)
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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Verbitterung und manchmal auch Hass musste bei denen entstehen, die sich verraten und betrogen fühlten?
    Und wie reagierten die »Verräter am Sozialismus« in der Führung einer sich sozialistisch nennenden Partei auf diese Situation? Trieb ihr schlechtes Gewissen sie nicht oft genug dazu, die »Abtrünnigen« zu verdächtigen, herabzusetzen und zu diskriminieren? Mussten sie nicht, um ihr Gesicht auch gegenüber der Masse der Mitglieder der Sozialdemokratie zu wahren, in Worten weiterhin für den Sozialismus eintreten und damit auch ihre eigenen Mitglieder täuschen und betrügen? Warum schufen sie denn eine »Sozialisierungskommission« und verkündeten, dass die »Sozialisierung marschiert«, während sie gleichzeitig alles taten, um den Kapitalismus zu erhalten?
    Was wusste ein ganz junger Sozialist im Jahre 1946 davon? Und wie sollte er verstehen, weshalb Stalin, der ab 1925 in der Kommunistischen Internationale eine größere Rolle zu spielen begann, zu der Auffassung gelangte, dass die Sozialdemokratie der Hauptfeind der kommunistischen Partei sei und später sogar die absurde These vom »Sozialfaschismus« vertrat und die Sozialdemokratie als eine Art Zwillingsbruder des Faschismus diffamierte?
    Es war und ist nicht schwer zu begreifen, dass deutsche Kommunisten, die aus der Sozialdemokratie kamen, angesichts des Verhaltens dieser Partei dafür anfällig sein konnten, diese falschen und politisch schädlichen Auffassungen mehr oder weniger anzunehmen und ihnen zeitweilig zu folgen. Diese Geschichte darf man nicht vergessen, wenn man beurteilen will, was es für kommunistische Funktionäre wie Wilhelm Pieck, Franz Dahlem, Anton Ackermann, Hermann Matern und natürlich auch für Walter Ulbricht 1945 bedeutete, den notwendigen Weg für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten zu ebnen, eine Annäherung zu ermöglichen und die Vereinigung zu einer einheitlichen sozialistischen Partei zu erreichen. Das verlangte die kritische und selbstkritische Prüfung und Überwindung auch der eigenen Fehler und die Bereitschaft, Vorurteile und einseitige Bewertungen aufzugeben und auch eine Verständigung über die vergangene Geschichte zu suchen.
    Dafür waren durch die Erfahrung des Faschismus und die Befreiung Deutschlands günstige Bedingungen entstanden, die es von beiden Seiten zu nutzen galt.
    Ulbricht hatte zweifellos einen entscheidenden Anteil daran, dass es gelang, diese Chance zu nutzen und gemeinsam mit zahlreichen sozialdemokratischen Funktionären, die aus der Geschichte die richtigen Lehren gezogen hatten, etwa Otto Grotewohl, Otto Buchwitz, Max Fechner und Erich Mückenberger, das Fundament für die Gründung der SED zu legen.
    Diesen komplizierten Prozess konnte ich 1945/46 im Bereich des kleinen Kreises Blankenburg/Harz mit großer Aufmerksamkeit und auch in Kontakt und Diskussion mit Funktionären beider Parteien verfolgen. Dabei lernte ich viele Aspekte unterschiedlicher Auffassungen aus der früheren Geschichte der Parteien kennen und gewann so einen sehr lebendigen Eindruck von der großen Begeisterung, die viele erfasst hatte, von dem ehrlichen Bestreben, die Fehler der Vergangenheit auszumerzen, aber auch von manchen Schwierigkeiten der Verständigung, weil es erklärlicherweise noch ideologische und psychologische Relikte der früheren Geschichte gab. Daher konnte ich mir eine ungefähre Vorstellung davon machen, was sich auf den höheren Ebenen bis hin zu den Führungen beider Parteien in den Diskussionen über die Vereinigung und über die Formulierung der »Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« abspielen musste.
    Ulbricht wurde auf dem Gründungsparteitag der SED in die Führung gewählt, und das war offenbar einerseits die Anerkennung für seinen enormen Beitrag zu diesem Vereinigungswerk und anderseits auch ein Ausdruck der Erwartung, dass er die Politik der Partei in entscheidender Weise mitbestimmen werde.
    Wenn ich heute über diese Periode unserer Geschichte nachdenke, sehe ich das Wirken und die Verdienste Walter Ulbrichts klarer als in der Vergangenheit, da auch meine Urteile oft zu stark von einer bestimmten Situation abhängig waren.
    In unserer insgesamt sehr schwierigen Geschichte gab es einige Perioden und Ereignisse von ganz besonderer Bedeutung, sei es, dass sehr kritische Situationen entstanden waren wie 1953 und 1956, oder dass ein Wendepunkt erreicht war, an dem grundsätzliche Entscheidungen und
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