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Wachen! Wachen!

Wachen! Wachen!

Titel: Wachen! Wachen!
Autoren: Terry Pratchett
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Charakter. Man kann ihn nicht unbedingt als sehr intelligent bezeichnen, aber wenn man ihm einen Auftrag gibt, ruht er nicht eher, bis alles erledigt ist. Die Gehorsamkeit gehört zu seinem Wesen.«
    »Du könntest ihm die Beine abhacken«, schlug Varneschi vor.
    »Die
Beine
sind nicht das eigentliche Problem«, antwortete der König bedrückt.
    »Oh. Ja. Ich verstehe. Nun, in
dem
Fall…«
    »Nein.«
    »Nein«, stimmte Varneschi nachdenklich zu. »Hmm. Vielleicht solltest du ihn für eine Weile fortschicken, ihm Gelegenheit geben, unter Menschen zu sein.« Er lehnte sich zurück. »Du hast es hier mit einer Ente zu tun, König«, fügte er weise hinzu.
    »Es hätte bestimmt keinen Sinn, ihm so etwas zu sagen. Es fällt ihm schon schwer genug zu glauben, daß er ein Mensch ist.«
    »Ich meine: eine Ente, die unter Hühnern aufgewachsen ist. Ein weithin bekanntes Bauernhof-Phänomen. Irgendwann stellt das arme Ding fest, daß es gar nicht richtig picken kann, und vom Schwimmen hat es überhaupt keine Ahnung.« Der König hörte höflich zu. Die landwirtschaftlichen Kenntnisse von Zwergen sind eher begrenzt. »Aber wenn man es zu anderen Enten schickt, damit es nasse Füße bekommt, läuft es bald keinen Glucken mehr nach. Und Bob ist dein Onkel.« 6
    Varneschi lehnte sich wieder zurück und wirkte sehr zufrieden mit sich.
    Wenn man einen großen Teil seines Lebens in einem Bergwerk verbringt, neigt man zu einer eher nüchternen Denkweise. Zwerge können mit Metaphern nur wenig anfangen. Steine sind hart, und die Dunkelheit ist dunkel. Wenn man mit bildhaften Beschreibungen beginnt, kommt man nur durcheinander – so lautet das Zwergenmotto. Doch der König pflegte schon seit zweihundert Jahren Kontakte mit Menschen, und während dieser Zeit hatte er ein mentales Instrumentarium entwickelt, um sich im Labyrinth menschlicher Redewendungen besser zurechtzufinden.
    »Bjorn Starkimarm ist tatsächlich mein Onkel«, sagte er langsam.
    »Meine ich ja.«
    Es folgte eine Pause, als der König die letzte Gesprächssequenz sorgfältig analysierte.
    Vater Zwerg wählte seine Worte mit besonderer Vorsicht, als er schließlich erwiderte: »Du meinst also, wir sollen Karotte fortschicken und ihn eine Ente unter Menschen sein lassen, weil Bjorn Starkimarm mein Onkel ist.«
    »Es handelt sich zweifellos um einen prächtigen Burschen«, sagte Varneschi. »Einem so kräftigen Jungen stehen bestimmt viele Möglichkeiten offen.«
    »Ich habe gehört, daß Zwerge in der Großen Stadt arbeiten«, überlegte der König laut. »Sie schicken ihren Familien Geld, was sehr lobenswert und anständig ist.«
    »Na bitte. Besorg ihm einen Job in…« Varneschi besann sich auf seine Phantasie. »In der Wache oder so. Mein Urgroßvater diente in der Wache, weißt du. Gute Arbeit für jemanden, der das Herz am rechten Fleck hat, meinte mein Urgroßvater.«
    »Wache?« wiederholte der König. »Was bedeutet das?«
    »Oh«, antwortete Varneschi mit der vagen Unsicherheit eines Mannes, dessen Familie während der letzten drei Generationen nicht mehr als zwanzig Meilen weit gereist ist, »die entsprechenden Leute sorgen dafür, daß die Gesetze beachtet werden und sich jeder an seine Anweisungen hält.«
    »Eine sehr ehrenhafte Aufgabe«, kommentierte der König. Er war daran gewöhnt, Anweisungen zu erteilen, und daher vertrat er in diesem Zusammenhang einen recht festen Standpunkt.
    »Natürlich nimmt die Wache nicht jeden auf«, fügte Varneschi hinzu und kramte in den untersten Schubladen seines Gedächtnisses.
    »Das kann ich gut verstehen. Immerhin ist diese Arbeit sehr wichtig. Ich schreibe dem König in der Stadt.«
    »Ich glaube, dort gibt es gar keinen König«, gab Varneschi zu bedenken. »Nur einen Mann, der allen anderen Leuten sagt, was sie zu tun haben.«
    Der Zwerg nahm diesen Hinweis ruhig entgegen. Seiner Ansicht nach war man zu mindestens siebenundneunzig Prozent König, wenn man anderen Leuten sagte, was sie zu tun hatten.
    Karotte fand sich mit diesen Erklärungen ab und nahm sein plötzlich verändertes Schicksal hin – ebensogut hätte man ihn auffordern können, Schacht Vier zu erweitern oder Holz für Stützbalken zu holen. Alle Zwerge sind von Natur aus pflichtbewußt, ernst, tugendhaft, gehorsam und nachdenklich. Ihre einzige Schwäche besteht in der Tendenz, nach einem Drink Feinden entgegenzustürmen, ›Arrrrgh!‹ zu brüllen und Beine in Kniehöhe abzuhacken. Karotte sah keinen Grund dafür, anders zu sein. Er beschloß,
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