Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
Vom Netzwerk:
daran war nicht zu denken. Um gegen die auf ihrer Seele lastende Sinnlosigkeit anzukämpfen, arbeitete sie unermüdlich. Sie konnte es ertragen, daß die Schlacht um Cahokia verloren war, so bitter und qualvoll diese Niederlage auch sein mochte. Aber daß sie Dachsschwanz, der hinter der Palisade gefesselt und von Wachen umgeben auf seine Marter wartete, nicht hatte helfen können, zermürbte sie.
    Einen Augenblick lang verharrte Heuschrecke regungslos. Erinnerungen an Dachsschwanz stiegen in ihr auf. In ihrer Seele verschmolzen bittersüße Bilder der Vergangenheit mit den Bildern einer grausamen Wirklichkeit: Voller Selbstvertrauen schritt Dachsschwanz neben ihr durch ein Dorf …
    Dachsschwanz lächelte ihr über ein Lagerfeuer hinweg zu … Dachsschwanz, aufgeknüpft wie ein totes Tier, das darauf wartete, ausgeweidet zu werden. Allein, ganz allein. Vor diesem Bild schloß Heuschrecke verzweifelt die Augen.
    Er hat dich aus der Gewalt von Hagelwolkes Kriegern gerettet, und du - was tust du? In ihrer Seele schwelte die Schuld mit solcher Macht, daß sie glaubte, sterben zu müssen, wenn sie nicht irgend etwas zu seiner Rettung unternahm.
    Sie sprang auf, zog die Kriegskeule aus dem Gürtel und hieb sie mit aller Kraft in die neue Wand.
    Wieder und wieder schlug sie auf die Wand ein. Sie schwang die Keule von einer Seite auf die andere, als schlüge sie eine freie Gasse in eine von zwei Seiten heranbrandende Horde feindlicher Krieger. Sie stellte sich die Gesichter der Feinde vor: Jeder dieser Feinde hatte Dachsschwanz irgendwann einmal verletzt; sie sah die Gesichter vor sich - die Narben, die Tätowierungen, die Augen. Stöhnende Schluchzer entrangen sich ihrer Kehle und steigerten sich zu ersticktem Weinen. Sie schlug noch härter zu und hämmerte auf die Wand ein wie eine Wahnsinnige. Heiße Tränen strömten über ihre Wangen. Sie haßte sich wegen ihrer Schwäche, wegen ihrer Hilflosigkeit und weil sie Dachsschwanz nicht retten konnte.
    »Heuschrecke«, flehte Primel. Er lief zu ihr und stellte sich hinter sie. »Bitte. Bitte, hör auf. Tu dir das nicht an! Dich trifft keine Schuld! Du kannst nichts für ihn tun.«
    Verzweifelt und am Ende ihrer Kraft ließ sie die Keule zu Boden fallen, sank gegen die Wand und lehnte die Stirn an die kühlen Stämme. »Ich - ich rufe die Krieger zusammen. Ein paar werden mir folgen. Wir holen ihn raus. Ich muß nur eine Möglichkeit finden, sie abzulenken, dann -«
    »Heuschrecke …« Primel streichelte beruhigend ihr Haar. »Petaga hat tausend Krieger. Vierhundert sichern die Schießplattformen; sie beobachten jeden, der durch die Palisaden kommt oder geht.
    Vielleicht gelingt es dir, eine Handvoll Krieger um dich zu scharen. Aber keiner von euch würde lange genug leben, um auch nur in Dachsschwanz' Nähe zu kommen.« Zärtlich strich er über ihren Kopf.
    »Dachsschwanz hat Frieden geschlossen. Er wußte, was er tat.«
    »Nein!« schrie sie. »Sein Leben im Tausch gegen das unsere anzubieten, das war dumm! Lieber wäre ich an seiner Seite gestorben, als um diesen Preis zu überleben.« Heuschrecke drehte sich um und warf sich schluchzend in Primels Arme. Für einen gesegneten, endlosen Augenblick überließ sie sich der tröstlichen Geborgenheit seiner Arme, ließ sich treiben mit dem ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus seines Atems, dem Gefühl seiner Hände, die ihre Haare liebkosten. »Ich kann ihn nicht sterben lassen, Primel.«
    »Er wäre entsetzt, wenn er wüßte, daß du ihn zu retten versuchst. Das weißt du. Er hat sich geopfert, damit die ihm treu ergebenen Männer und Frauen am Leben bleiben. Und er liebt dich, Heuschrecke.
    Er hat dich immer geliebt. Er wollte mit seinem Leben deine Sicherheit erkaufen.«
    Heuschreckes Herz hämmerte heftig. Sie wußte, daß Primel recht hatte; doch allein der Gedanke, dies zugeben zu müssen, war ihr verhaßt. Sie schmiegte ihre Wange an seine Schulter und starrte mit leerem Blick auf die versengten Felder am Cahokia Creek.
    Nichts würde mehr so sein wie vorher. Die Hälfte der Bevölkerung war geflohen oder getötet worden.
    In der Nacht vor dem Kampf hatte Sandbank alle Angehörigen des Kürbisblüten-Stammes aus Cahokia weggebracht und weigerte sich seitdem, mit ihren Leuten zurückzukommen. Winterbeere …
    die arme Winterbeere. Ein brennendes Dach war über ihr zusammengebrochen und hatte sie schwer verletzt. Sie lag in Grüne Esches Haus, hustete Blut und stöhnte vor Verzweiflung über das Schicksal von Grüne Esches
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher