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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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seiner knienden Stellung und blickte forschend in Nachtschattens dunkle Augen.
    »Blutschande? Mit wem?«
    »Mit seiner Tochter.«
    »Orenda? Aber sie ist noch ein kleines Mädchen! Heiliger Vater Sonne … meine arme Cousine.« Er hatte Orenda nie gesehen, aber er wußte, was das rituelle Gesetz von ihm verlangte. Zur Wiedergutmachung dieses Sakrilegs mußte er sämtliche Erinnerungen an Orenda und ihren Vater auslöschen. Petaga senkte die Augen und schüttelte den Kopf.
    Nachtschatten sagte beschwörend: »Petaga, Dachsschwanz will sich ergeben. Er -«
    »Was - eine Kapitulation! ' Das lasse ich nicht zu. Diese Männer und Frauen haben unser Dorf ausgelöscht, Nachtschatten. Sie müssen sterben!«
    Sie trat näher und legte beschwichtigend eine Hand auf Petagas Wange. »Du hast den Krieg gewonnen, mein Häuptling. Nun rette, was von diesem Dorf noch übrig ist. Du brauchst ein Fundament, auf dem du dein neues Häuptlingtum aufbauen kannst. Die Bauern, Handwerker und Händler Cahokias verfugen über das notwendige Wissen und können dir dabei helfen. Dachsschwanz ist davon überzeugt, daß seine Krieger dem nächsten Häuptling Große Sonne, wer immer es auch sein sollte, treu ergeben sein werden.«
    »Glaubst du das auch?« fragte Petaga.
    »Ja. Mein Häuptling, es ist Zeit, zu reinigen und zu heilen.«
    Verwirrt von den widerstreitendsten Gefühlen entfernte sich Petaga ein paar Schritte und stellte sich an das Flüßchen. Am anderen Ufer entdeckte er einen ovalen Gegenstand. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Im Licht des plötzlich bläulich aufflammenden Tempeldaches erkannte er, daß es sich um einen zwischen verkohlten Halmen liegenden Leichnam handelte. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wut zuckte durch Petagas Bauch. Der brennende Wunsch nach Rache kämpfte wie eine tollwütige Wildkatze gegen seinen Verstand, der ihm sagte, Nachtschatten habe recht. Er brauchte die Stämme aus Cahokia. Alle. Jetzt kämpft der Junge in dir mit dem Mann. Trotz der vielen Toten und all der Verzweiflung der letzten Wochen, trotz all der schweren Entscheidungen und der großen Verantwortung fühlte er sich erst jetzt, da er sich für Gnade oder Haß entscheiden mußte, als Mann.
    Petaga senkte den Kopf und starrte nachdenklich auf die häßliche Ascheschicht, die auf dem dunklen Wasser schwamm. In seinen Träumen war er wieder und wieder zu seinem Vater zurückgekehrt und hatte die letzten Augenblicke in River Mounds noch einmal erlebt. Er sah seinen Vater ruhig und aufrecht vor Dachsschwanz stehen. Ungeachtet der Bedrohung seines Lebens verkörperte er vollendet die Würde seines Amtes. Nachtschatten hatte seinen Vater stets gut beraten, sein Vater hatte ihrem Urteil vorbehaltlos vertraut.
    Der hintere Teil des Tempeldaches explodierte in einem prasselnden Feuerball. Die Leute erstarrten.
    Wie gelähmt beobachteten sie die zum Himmel wogenden Feuerwalzen, die die Wolken zu versengen schienen. Mit einem donnernden Krachen stürzten weitere Teile des hohen Daches ein. Im grell aufflammenden Licht sahen die Gesichter der an den Palisaden kämpfenden Krieger bleich und fremd aus. Zu Tode erschrocken hielten sie mitten im Kampf inne. Doch gleich darauf erscholl lautes Triumphgeheul, und schweißglänzende Körper begannen spontan im Tanz des Sieges herumzuwirbeln.
    »Petaga!« Nachtschattens Stimme drängte. »Da ist noch etwas.« Sie hielt ihm die kleine Truhe hin.
    »Dachsschwanz bat mich, dir den Kopf deines Vaters zu bringen. Er bat darum, ihn dem Körper zurückzugeben, damit Jenos' Geist voller Stolz in der Unterwelt umhergehen kann.«
    Petaga streckte die Hände nach dem Kasten aus; doch unwillkürlich zuckte er zurück. Er zitterte am ganzen Leib. Wieder erinnerte er sich an den letzten, ihn ermutigenden Blick seines Vaters, bevor Dachsschwanz zum tödlichen Schlag ausholte. »Wenn Dachsschwanz glaubt -«
    Nachtschatten schüttelte den Kopf. »Er glaubt, du wirst ihn zu Tode martern. Er erwartet nichts anderes.«
    Ehrfürchtig nahm Petaga den Kasten in Empfang. In diesem Augenblick prasselten Regentropfen auf den knochentrockenen Boden. Petaga war davon so überrascht, daß er hochsprang, als habe ihn unvermutet ein Fausthieb getroffen. Im Nu verwandelten sich die Tropfen in rauschenden Regen, und die Welt versank hinter einer undurchsichtigen Wasserwand. Das ohrenbetäubende Zischen und Knistern der Flammen erstickte alle anderen Geräusche.
    Petaga blieb wie betäubt stehen; der
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