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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition)
Autoren: Neal Shusterman
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Sie kennenzulernen, Robert.«
    Als ihr Connor reflexartig die rechte Hand geben will, spürt er in der Schulter wieder einen dumpfen Schmerz.
    »Tut mir leid«, sagt die Krankenschwester. »Meine Schuld.« Sie schüttelt ihm die linke Hand. »Ihre Schulter wird noch schmerzen, bis die Transplantationsnarbe vollständig verheilt ist.«
    »Was sagen Sie da?«
    Die Krankenschwester seufzt. »Habe ich mich doch schon wieder verquatscht. Die Ärzte legen Wert darauf, es den Patienten selber zu sagen, aber jetzt ist die Katze aus dem Sack, nicht wahr? Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht in der Lage waren, Ihren Arm und Ihr rechtes Auge zu retten. Die gute Nachricht ist, dass Sie als E. Robert Mullard Anspruch auf Notfalltransplantate haben. Ich habe das Auge gesehen – keine Sorge, es passt gut. Was den Arm angeht, ist der neue ein wenig muskulöser als Ihr linker Arm, aber mit etwas Physiotherapie können Sie das in kürzester Zeit ausgleichen.«
    Connor lässt die Informationen in sein Bewusstsein sinken. Auge. Arm. Physiotherapie.
    »Ich weiß, diese Nachrichten müssen Sie erst einmal verdauen«, sagt die Krankenschwester.
    Zum ersten Mal betrachtet Connor seinen neuen Arm. Die Schulter ist verbunden, und der Arm liegt in einer Schlinge. Connor bewegt die Finger. Sie lassen sich bewegen. Er dreht das Handgelenk. Es lässt sich drehen. Die Fingernägel müssten geschnitten werden, und die Knöchel sind dicker als seine eigenen. Er fährt mit dem Daumen über die Fingerspitzen. Die Berührung fühlt sich an wie immer. Dann, als er das Handgelenk ein wenig weiter dreht, hält er plötzlich inne. Eine Welle der Panik erfasst ihn und legt sich schwer auf seinen Magen.
    Die Krankenschwester betrachtet lächelnd seinen Arm. »Die Transplantate haben oft eine eigene Persönlichkeit«, sagt sie. »Kein Grund zur Beunruhigung. Sie sind bestimmt hungrig. Ich besorge Ihnen Abendessen.«
    »Ja«, sagt Connor. »Abendessen. Das ist gut.«
    Sie lässt ihn mit dem Arm allein. Seinem Arm. Einem Arm mit der unverwechselbaren Tätowierung eines Tigerhais.

67. Risa
    Risas Leben, wie sie es kannte, endete an dem Tag, an dem die Klatscher das Schlachthaus in die Luft jagten – und später wusste jeder, dass es Klatscher waren, nicht Connor. Die Beweise waren eindeutig. Insbesondere nach dem Geständnis des Klatschers, der überlebte.
    Anders als Connor war Risa die ganze Zeit über bei Bewusstsein. Obwohl sie unter einem stählernen T-Träger eingeklemmt war, blieb sie hellwach. Während sie in den Ruinen lag, verschwand schließlich der Schmerz, den sie verspürt hatte, als der Stahlträger herunterkam. Sie wusste nicht, ob es ein gutes Zeichen war oder ein schlechtes. Dalton dagegen hatte schreckliche Schmerzen. Und er hatte Angst. Risa beruhigte ihn, redete mit ihm, versprach ihm, dass alles gut werden würde. Sie versprach es ihm auch noch in dem Moment, in dem er starb. Der Gitarrist hatte mehr Glück, er konnte sich aus den Trümmern befreien. Doch da er Risa nicht helfen konnte, versprach er, Hilfe zu holen, und ging. Er musste sein Versprechen gehalten haben, denn es kam wirklich jemand. Drei Männer waren nötig, den Stahlträger anzuheben, aber nur einer, um Risa hinauszutragen.
    Nun liegt sie im Krankenhaus, eingespannt in eine Vorrichtung, die mehr einem Folterinstrument gleicht als einem Bett. Risa ist mit Stahlnadeln gespickt wie eine menschliche Voodoopuppe. Die Nadeln werden durch ein Gerüst fixiert. Risa sieht ihre Zehen, spürt sie jedoch nicht. Von nun an muss es ihr reichen, sie zu sehen.
    »Du hast Besuch.«
    Als die Krankenschwester, die in der Tür steht, zur Seite tritt, taucht Connor hinter ihr auf. Er ist über und über mit Prellungen übersät und hat mehrere Verbände, aber er lebt. Unwillkürlich füllen sich ihre Augen mit Tränen. Sie will nicht weinen, das Schluchzen schmerzt noch zu sehr. »Ich hab gewusst, dass es gelogen war. Die haben behauptet, du wärst bei der Explosion gestorben, weil du im Gebäude eingeschlossen warst – dabei habe ich dich draußen gesehen. Ich wusste, dass sie lügen.«
    »Wahrscheinlich wäre ich auch gestorben«, sagt Connor, »wenn Lev die Blutung nicht zum Stillstand gebracht hätte. Er hat mir das Leben gerettet.«
    »Mir auch«, sagt Risa. »Er hat mich hinausgetragen.«
    Connor lächelt. »Nicht schlecht für so einen blöden kleinen Zehnten.«
    Offenbar hat Connor noch nicht gehört, dass Lev einer der Klatscher war – der, der nicht in die Luft flog.
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