Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Autoren: Karl-Heinz Paqué
Vom Netzwerk:
anders. Nicht nur erholte sich die deutsche Wirtschaft schnell; auch die Arbeitslosigkeit stieg nur wenig und fiel schon ein Jahr nach der Krise auf das unmittelbare Vorkrisenniveau zurück ( Schaubild 2 ). Der Unterschied zu den drei letzten großen Konjunkturkrisen konnte kaum drastischer sein: in den Jahren 1975, 1982 und 1993 die Fortdauer der zusätzlichen Erwerbslosigkeit, 2009 dagegen ein nur kurzer und sehr moderater Anstieg – trotz Überkapazitäten, die weit größer waren als jemals in den letzten fünf Jahrzehnten. Lediglich zur Rezession von 1967 zeigen sich auffallende Parallelen. Auch damals kehrte die Erwerbslosigkeit schon nach zwei Jahren auf das Vorkrisenniveau zurück. Auf längere Sicht hinterließ der Einbruch keinerlei Spuren am Arbeitsmarkt.
    Es sind diese Parallelen, die aufmerken lassen: Warum zeigen ausgerechnet die erste und die bisher letzte scharfe Rezession der bundesdeutschen Konjunkturgeschichte ein so ähnliches Profil, während die Zeit dazwischen ganz andere Muster hervorgebracht hat? Dabei geht die Parallelität von 1967 und 2009 noch ein Stück weiter. In beiden Rezessionen wurde reichlich Gebrauch gemacht von dem, was man einen konjunkturellen Puffer nennen könnte. 2009 war dies vor allem die Kurzarbeit. Sie stieg im Laufe des Jahres bis auf 1,4 Millionen Betroffene an, um dann anschließend recht zügig wieder abgebaut zu werden, bis auf einen kleinen Rest von etwa 100.000 Personen Mitte 2011. Offenbar zogen es die Unternehmen vor, ihre Beschäftigten zu halten, statt sie in Massen zu entlassen, ganz anders als in den früheren Rezessionen 1975, 1982 und 1993.

    Ähnliches geschah 1967, zumindest mit den deutschen Arbeitnehmern. Damals diente als „Puffer“ allerdings nicht nur die Kurzarbeit, sondern vor allem auch der Verzicht auf neuerliche Einstellung von ausländischen Arbeitskräften: Viele der damaligen „Gastarbeiter“ verbrachten den Winter 1966/67 zu Hause im mediterranen Süden und verzichteten ein Jahr lang auf eine Rückkehr nach Deutschland, weil keine Arbeit für sie da war. Rein rechnerisch ging es dabei um etwa 230.000 Personen, bei einem Zuwachs der Arbeitslosenzahl um fast 300.000, also um über 40 Prozent der 530.000 Arbeitskräfte, die per saldo in der Rezession ihren Job verloren. Es mag zynisch gewesen sein, einen derart großen Teil der Arbeitslosigkeit zu „exportieren“, wo doch der Anteil der Ausländer an der inländischen Beschäftigung damals nicht höher als fünf Prozent lag. Ökonomisch war klar, warum dies geschah: Die Arbeitslosenquote lag im Durchschnitt der 1960er-Jahre kaum höher als ein Prozent, und bei der herrschenden Knappheit an Arbeitskräften taten die Unternehmen alles, um ihre Teams von leistungsfähigen Facharbeitern möglichst zusammenzuhalten, und das waren natürlich vornehmlich Deutsche. Sie zu entlassen barg die große Gefahr, sie bei einer Erholung der Konjunktur nicht mehr zurückholen zu können. 5
    So weit die Parallelität zwischen 1967 und 2009. In beiden Fällen haben die Arbeitgeber aus Eigeninteresse alles getan, um Massenentlassungen so gering wie möglich zu halten. Im Klima der 1960er-Jahre erklärt sich dies offensichtlich aus der herrschenden Knappheit an Arbeitskräften. Aber wie erklärt es sich im Jahr 2009, wo doch die Arbeitslosenquote vor der Krise in Deutschland noch immer bei sieben Prozent lag? Manche Experten – so der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2010/11 – sprachen im Nachhinein von einem Horten der Arbeitskräfte, aber sie ließen offen, wo die tiefere Erklärung für dieses Horten liegen könnte. 6 Warum sollten deutsche Unternehmen bei einer Arbeitslosenquote von sieben Prozent im Jahr 2009 ganz anders reagieren, als sie es bei nur leicht höherer Arbeitslosigkeit in einer weit weniger dramatischen Krise vor gar nicht so langer Zeit getan hatten? Und warum wurde dieses „Horten“, wenn es denn als Erklärung so naheliegt, von keinem Experten zu Beginn der Rezession 2009 vorhergesagt? Warum verhalten sich die Unternehmen neuerdings so ganz anders, als wir es seit Langem von ihnen gewohnt sind?
    Tatsächlich ist das Horten das eigentliche große Rätsel, das aufgeklärt werden muss. Das kollektive Gedächtnis der Experten hat dabei die Erfahrungen der letzten großen Rezessionen gespeichert, die immer einen Sprung der Arbeitslosigkeit nach oben bewirkten, der von längerer Dauer war. Das ganz andere Erlebnis der 1967er-Rezession liegt zu weit zurück und ist längst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher