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Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)

Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)

Titel: Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Autoren: Liz Bulther
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verlangt, dass du sofort kommst. Für die Obduktion habe ich schon alles vorbereitet. Wir können gleich anfangen.“
Krentler schwieg. Er fühlte sich müde. Am liebsten wäre er ins Hotel gefahren um sich hinzulegen. Später hätte er einen Drink nehmen und Johansen zum Essen einladen können. In Südchina waren seit dem ersten Ausbruch der Seuche 1997 hunderte Millionen Tiere getötet worden, und in Deutschland machten sie sich Sorgen wegen ein paar infizierter Wildvögel.
Seine Wut verflog, als Johansen ihn anlächelte und sagte: „Wir haben später noch Zeit für einen Abschiedsdrink. Ich bringe dich zum Flughafen.“
    2
    „Haben die Schwäne dann auch Husten?“
„Ja. Ich denke schon.“
„Aber die haben kein Hustenmittel, oder?“
„Die brauchen auch kein Hustenmittel. Es sind wilde Schwäne. So ist das eben in der Natur. Schlaf jetzt, Marie.“
„Aber warum ist das so? Können wir den Schwänen nicht etwas von unserem Hustenmittel abgeben?“
„Nein. Sie können ja keinen Löffel in den Mund nehmen. Und außerdem wirkt das Hustenmittel bei ihrer Grippe nicht. Sie haben eine Vogelgrippe, und Tobias hat eine Menschengrippe. Und jetzt wird das Licht ausgemacht. Schlaf gut.“
„Gute Nacht.“
Marie verzog das Gesicht und knipste das Licht aus. Leise schloss die Mutter die Tür. Sie hatte die Gardinen einen Spalt offen gelassen und der Mond warf einen hellen Streifen über den Boden bis zum Schrank und beleuchtete das Poster, das an der linken Tür hing. Marie hatte es vor einigen Tagen in der Apotheke bekommen, wo sie Medikamente für Tobias gekauft hatten. Das Bild war eine Nachtaufnahme und zeigte einen Schwarm Zugvögel in der typischen V-Formation vor einem dunkelblauen Himmel mit einem leuchtenden Mond. Ein schmaler Lichtstreifen am Horizont kündete von der untergegangenen Sonne. Als sie das Bild gesehen hatte, war ihr ein Schauer über den Rücken gelaufen. Oft schon war sie draußen am Strand gestanden und hatte gedankenverloren aufs Meer geblickt, bis die Mutter sie holte. Die Weite rief etwas in ihr wach, und obwohl sie noch so klein war, kleine Schwester, jüngstes Kind, empfand sie eine seltsame Sehnsucht.
Einmal war sie, während eines Ausflugs nach Hiddensee im letzten Frühjahr, für einen Moment alleine oben auf den Klippen gestanden. Sie hatte über das Meer geblickt und sie gesehen. Zugvögel. Lautlos und schön waren sie um die Inselspitze geflogen, auf dem Weg zu ihrem Rastplatz, der weiter südlich lag, ein schwereloser Pfeil über dem Horizont. Als Marie in der Apotheke das Poster gesehen hatte, war das Bild mitsamt der Sehnsucht aus der Erinnerung wieder aufgetaucht. Sie hatte allen Mut zusammen genommen und die Apothekerin gefragt, ob sie das Poster bekommen könnte. Jetzt hing es in ihrem Zimmer. Sehnsüchtig wartete sie auf die Rückkehr der Zugvögel.
Aber jetzt waren die Schwäne krank geworden und starben. Vor einer Woche hatte man die ersten toten Vögel aus dem Boddenwasser gezogen. Seitdem herrschte eine ungewohnte Aufregung. Die Kinder durften nicht mehr am Strand spielen. Jeden Tag liefen Männer in weißen Plastikanzügen mit verhüllten Gesichtern am Wasser entlang und sammelten die toten Vögel ein. Die Mutter verbot ihr, am Teich zu spielen, der fünf Minuten vom Haus hinter einem kleinen Hügel verborgen neben der Schafweide lag.
In der Schule hatten sie gelernt, dass viele Zugvögel in Afrika überwinterten und den Sommer in Skandinavien verbrachten. Der Lehrer hatte ihnen Afrika auf einer riesigen Landkarte gezeigt, die vom Boden bis zur Decke reichte. Rügen und Hiddensee waren darauf nur als klitzekleine Punkte zu erkennen gewesen. Die Vögel hatten also eine lange und anstrengende Reise hinter sich. Sie mussten sich vor der Weiterreise nach Dänemark ausruhen. Rügen und Hiddensee boten gute Rastplätze für die erschöpften Vögel. In den Boddengewässern und am Ostseestrand fanden sie ausreichend Nahrung, um zu Kräften zu kommen. Außerdem waren sie in den Naturschutzgebieten der Inseln fast ungestört, abgesehen von einigen Segelbooten, aber die machten immerhin keinen Lärm.
In den letzten Wochen hatte Marie deshalb am Teich einen kleinen Rastplatz für hungrige Zugvögel eingerichtet. Am Ufer hatte sie aus Schilf ein Nest gebaut, in dem, wie sie schätzte, bestimmt fünf oder sechs Vögel mit ihren Kindern ausruhen könnten. In einer kleinen Holzkiste lagerten fünf Konservenbüchsen, die sie in der Küche gefunden hatte. Einmal Erbsen und Möhrchen und
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