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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Verankerung im Westen zu seiner Ostpolitik nutzte, entstand aus beiden Teilen ein zusammengehöriges Ganzes, das seither nicht mehr ernsthaft umstritten war -ein kostbares Allgemeingut. Die Feier war dem Dank gewidmet und dem Ziel, zu erleben, daß Brüche überwindbar sind. So empfanden es alle und so war die öffentliche Reaktion. Es war ein außerordentliches Ereignis.

    Staatsbesuch beim Vatikan 1994. In der Residenz des deutschen Botschafters links der deutsche Benediktiner Kardinal Meyer, neben ihm der »Regierungschef« des Vatikans, Kardinal-Staatssekretär Sodano, ganz rechts der deutsche Kardinal Ratzinger.

Die letzten vier Wochen im Amt
    In den letzten Monaten meiner Amtszeit kam es noch zu einer Reihe von Auslandsreisen. Mit Papst Johannes Paul II. war ich bis dahin schon dreimal im Vatikan und zweimal bei uns zu Hause zusammengetroffen. Meine Abschiedsvisite in Rom fand nun auf Vorschlag des Heiligen Stuhls in der Form eines regulären Staatsbesuches statt, was nur selten geschieht. Das Protokoll des päpstlichen Hauses stellte an Pracht und Strenge alles in den Schatten, was ich auf meinen neunundvierzig offiziellen Staatsbesuchen je erlebt hatte. Deshalb sei es kurz geschildert.
    Der Gast wird in seinem Quartier vom päpstlichen Ehrenkämmerer abgeholt. Der Petersplatz wird gesperrt. Nach der
Einfahrt in den Vatikan erweist die Schweizergarde auf dem Damasus-Hof mit Federbusch und Hellebarde die Ehrenbezeigung und spielt unsere Nationalhymne. Der Präfekt des päpstlichen Hauses und - was sehr wichtig für die Kurie ist -der Sonderdelegierte für den Staat der Vatikanstadt geleiten zusammen mit den Ehrenkämmerern und dem Kommandanten der Schweizergarde den Gast zur zweiten Loggia. Dort bildet sich ein Ehrenzug auf dem Weg in die päpstlichen Gemächer. Die Herren der Anticamera und Dekane gehen voran. Im ersten Saal warteten die Exzellenzen, der Almosenier und der Thronassistent des Papstes auf den Gast. Es geht in die Sala Clementina, von dort in die Sala Ambrogio, danach in die Sala del Angelo, ein Raum immer glanzvoller als der andere. In jedem der Säle bleibt ein Teil des Ehrenzuges zurück. Erst dann wird die Sala del Trono betreten, wo der Papst den Gast begrüßt. Während der Almosenier und der Thronassistent in der anschließenden Sala del Tronetto verweilen, bittet der Papst den Gast allein zur persönlichen Unterredung in die Bibliothek, dem schlichtesten aller bisher durchschrittenen Säle, mit einem Auferstehungsbild von Perugino, dem Lehrer von Raffael, an der Stirnwand.
    Später werden die Empfangs- und Gastdelegationen hereingebeten und nehmen Aufstellung. Der Papst und der Gast halten Ansprachen. Kleine Geschenke werden ausgetauscht. Der Papst geleitet den Gast durch mehrere Säle zurück und verabschiedet sich. Der Ehrenzug gelangt zu den Gemächern von Kardinal Sodano, dem Kardinalstaatssekretär, der die Regierung des Vatikan leitet. Nach einer persönlichen Unterredung hält er in der großen Sala Regia, laut Vasari der »schönste und reichste Saal der Welt«, eine politische Ansprache und stellt dem Gast die Chefs der zahlreichen diplomatischen Missionen beim Heiligen Stuhl vor. Danach begibt sich der ganze Zug wieder in den Damasus-hof. Das Musikcorps spielt die päpstliche Hymne. Der Gast fährt ab. Er begibt sich in seine Botschaft, weil dort alsbald der Kardinalstaatssekretär zusammen mit den deutschen Kardinälen Ratzinger und Meyer den Gegenbesuch des Vatikans abstattet.

    Die Schilderung muß zwangsläufig ein blasses Abbild der Wirklichkeit bleiben, weil sich die historisch gewachsene Einmaligkeit und Fülle des Palastes und der Säle sowenig wiedergeben lassen wie die formvollendete und gemessene Feierlichkeit jeder Bewegung. Keine der heute bestehenden Monarchien hat auch nur noch einen Bruchteil des protokollarischen Zeremoniells bewahrt, das der Vatikan dem Staatsgast bietet. Aber der Heilige Stuhl hat sich auch nie mit einer weltlichen Monarchie verglichen. Das Ganze ist die lebendige Überlieferung des Bewußtseins vom eigenen solitären Rang, verbunden zugleich mit der Achtung vor dem Gast.
    Bei allem ungeschmälerten Protokoll verliefen dennoch die persönlichen Gespräche so direkt und zwanglos, wie man sie sich wünscht. Der Papst bereitete uns einen ausgesprochen warmherzigen Empfang. Nie hatte der Vatikan die Spaltung Deutschlands anerkannt. Der Papst hatte geholfen, die Mauer zu Fall zu bringen. Dafür dankte ich ihm. Seinerseits war er von der
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