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Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Titel: Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
Autoren: Jesper Juul
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Gesamtsituation zu ändern. Wenn wir dem Kind die Schuld geben, kränken wir seine persönliche Integrität und reduzieren seine Lebenstauglichkeit. Schuld und Scham sind die beiden selbstzerstörerischsten Gefühle, die wir kennen.
    Das bedeutet nicht, dass ich Sie für »verantwortungslos« halte – ganz und gar nicht! Es spricht ja zum Beispiel für Ihr Verantwortungsgefühl, dass Sie Ihrer Tochter ein zivilisiertes Benehmen bei Tisch beibringen wollen. Aber die Stimmung in einer Familie, auch zwischen den Eltern, hängt nur sehr selten davon ab, was wir tun, sondern vor allen Dingen wie wir es tun. Das ist die wichtige Dimension, die von den TV -Nannys vergessen wird. Stattdessen bauen sie eine falsche Wirklichkeit auf, in der sich scheinbar alles um Erziehung dreht – um richtige oder falsche Erziehung oder auch um die Abwesenheit von Erziehung.
    Ihre Tochter macht mit ihrem anstrengenden Benehmen darauf aufmerksam, dass etwas mit Ihrer Beziehung nicht in Ordnung ist – dass es ihr nicht wirklich gut geht, und es ist Ihre Aufgabe, darüber nachzudenken, woran das liegen könnte. Das bedeutet nicht, dass Sie bisher »schlechte« Eltern gewesen sind, sondern nur, dass Sie sich in ein paar Punkten geirrt haben, was an sich halb so schlimm ist, wenn Sie die Verantwortung dafür übernehmen und Ihr Verhalten ändern. Alle Eltern irren sich in gewissen Punkten, und wir können unsere Elternkompetenz nur dann steigern, wenn wir aus unseren Fehlern lernen.
    Ich kenne Ihre Familie nicht persönlich, aber manches deutet darauf hin, dass Sie es in Ihrem Bestreben, dass alles reibungslos funktioniert, zu eilig haben. Ihre Tochter scheint sich mehr als Belastung, weniger als Mensch und Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Bei modernen Kindern sehen wir oft diese besondere Form der Einsamkeit, und früher oder später betrifft sie auch die Liebesbeziehung der Erwachsenen. Wir spüren nicht mehr, dass wir das Leben unseres Partners bereichern, wenn sich alle Energie auf die Arbeit und die familiären Abläufe richtet.
    Vielleicht ist es das, was Ihre Tochter Ihnen sagen will: »Hört doch bitte damit auf! Können wir es nicht einfach ein bisschen gemütlich haben?« Unabhängig davon, was sie Ihnen eventuell mitteilen will, möchte ich Ihnen Folgendes vorschlagen: Setzen Sie sich mit Ihrer Tochter in Ruhe zusammen und sagen Sie zu ihr: »Wir waren so unsicher, wie wir uns verhalten sollten, dass wir dich für etwas bestraft haben, das nicht deine Schuld ist. Das tut uns sehr leid, und das werden wir auch nicht mehr machen. Wir wissen noch nicht genau, was wir stattdessen tun sollen, aber wir werden auf jeden Fall die Verantwortung dafür übernehmen.«
    Im Fernsehen sieht es oft so aus, als würde die Time-outMethode funktionieren. Und das tut sie auch oft für kurze Zeit. Wenn die Erwachsenen sich viel Mühe geben und konsequent sind, kann die Wirkung sogar ziemlich lange andauern. Es wirkt nämlich immer, wenn die Stärksten die Schwächsten kränken, doch später muss ein hoher Preis dafür gezahlt werden. Die Kinder kämpfen oft ihr Leben lang gegen Schuld und Scham und ihr geringes Selbstwertgefühl an. Außerdem wird das Verhältnis zu den Eltern schlecht. Diese Form der Kränkung hat nichts mit Erziehung zu tun. Sie ist eine Dressur, und die Wunden auf der Seele des Kindes werden nicht dadurch geheilt, dass an anderer Stelle gelobt wird. Wenn Sie also eine Auszeit nehmen wollen, dann nehmen Sie diese gemeinsam. Wenn sich der Konflikt auf destruktive Weise festgefahren hat, also ein Machtkampf entstanden ist, können Sie das Kind mit sich in einen anderen Raum nehmen, sich nebeneinandersetzen und zusammen über alles nachdenken.
    Wenn es den Eltern gelingt, eine Weile zu schweigen, sind es oft die Kinder, die als Erste konstruktive Lösungsvorschläge machen.
    Schließlich will ich Ihnen noch eine Faustregel mitteilen: Wenn Sie in Erwägung ziehen, Ihrem Kind gegenüber irgendeine »Methode« anzuwenden, dann überlegen Sie zuerst, ob Sie etwas Entsprechendes mit Ihrem Partner tun würden. Lautet die Antwort Nein, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine schlechte Idee – es sei denn, Sie würden zu jenen Erwachsenen gehören, die immer noch nicht einsehen wollen, dass es sich bei Kindern um richtige Menschen handelt.

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