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Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Titel: Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
Autoren: Jesper Juul
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werden, ich sei die Böse gewesen, die einfach abgehauen ist …
    Ich finde, er sollte dieses Bild geraderücken, nicht ich.
    Die Kinder und ich hatten bisher ein gutes Verhältnis. Doch ich spüre in letzter Zeit, dass vor allem meine 10-jährige Tochter nicht mehr so viel Vertrauen zu mir hat wie früher und sich nicht mehr mit den vagen Begründungen zufriedengibt, mit denen ich unsere Trennung erkläre. Daher frage ich mich, was man sagen kann und zu welchem Zeitpunkt man sich eventuell zu dem ganzen Vorgang äußern sollte.
    Ich glaube nicht daran, dass es richtig ist, allen meine Geschichte zu erzählen, und ich will auch nicht über den Vater der Kinder herziehen, aber ein etwas differenzierteres Bild von dem, was geschehen ist, habe ich doch verdient. Was meinen Sie?
    Dazu kommt noch, dass sich mein Exmann nicht an Verabredungen hält, die wir während der Familienberatung getroffen haben. Er behandelt mich so respektlos wie früher, indem er meine Wünsche und Anfragen ignoriert, und das wirkt sich dann auch auf die Kinder aus, wenn sie bei mir sind. Es fehlt beispielsweise immer etwas, wenn er sie zu mir bringt. Wenn ich mich dann nach den fehlenden Kleidungsstücken, Gegenständen, Geburtstagseinladungen etc. erkundigen will, ist er beim Training oder eben nicht erreichbar. Außerdem ändert er in den Ferien Verabredungen, wie es ihm gerade passt.
    Darum fällt es mir äußerst schwer, über seinen Mangel an Respekt mir gegenüber einfach hinwegzusehen, zumal den Kindern, wenn sie bei mir sind, immer irgendetwas fehlt. Dass die drei ihn dann ganz automatisch in Schutz nehmen und alles »gar nicht so schlimm« finden, ärgert mich sehr – wobei ich mir Mühe gebe, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen.
    Ich möchte die Gespräche bei der Familienberatung beenden, weil er sich ja doch nicht an unsere Verabredungen hält. Außerdem habe ich es satt, dass er sich dort als Opfer aufführt. Ich habe allerdings Angst, dass er das später gegen mich verwenden wird und behauptet, dass ich nicht »alles für die Kinder tun« würde. Was meinen Sie? Hat es noch Sinn, die Gespräche fortzusetzen? Und muss ich damit leben, dass die Kinder glauben, ich hätte die Familie im Stich gelassen?
    Eine sehr frustrierte Mutter

    Antwort von Jesper Juul:
    Danke für Ihre anschauliche Beschreibung, die ich mir ein wenig zu kürzen erlaubt habe. Wie ich sehe, haben Sie verstanden, dass zwei dazugehören, um die Art der Dynamik zu schaffen, die Ihre Beziehung geprägt hat. Darum werde ich mich in meiner Antwort nicht auf Ihren Exmann beziehen. Er lebt sein eigenes Leben – wie Sie und ich – so gut er kann und entrichtet unterwegs seinen Preis.
    Ich möchte mich darauf beschränken, die Gedanken zu kommentieren, die Sie sich über sich selbst und Ihr Verhältnis zu Ihren Kindern machen. Gemeinsam mit Ihrem Exmann haben sie gelernt, sich wie ein Opfer zu benehmen. Sie haben Ihren Kindern über Jahre hinweg vorgelebt, dass es in Ordnung ist, dass man Ihre Grenzen und Bedürfnisse missachtet. Kinder brauchen jedoch Eltern, die ein gutes Rollenmodell abgeben, an dem sie sich orientieren können. Jungen brauchen dazu erfahrungsgemäß besonders ihre Väter und Mädchen ihre Mütter. Ab einem gewissen Alter, in das auch Ihre 10-Jährige passt, versuchen Töchter herauszufinden, ob und inwieweit sie ihren Müttern ähnlich sind. Darum ist Ihre Tochter natürlich auch diejenige, die am kritischsten ist und das wenigste Vertrauen hat. Sie steht zwischen einer Mutter, der es an Selbstrespekt fehlt, und einem Vater mit großem Ego, und verständlicherweise gerät sie in Zweifel, woher sie eigentlich die Stärke und Selbstsicherheit nehmen soll, die sie im Leben dringend nötig haben wird. Es ist also an der Zeit, dass Ihre Tochter ein neues weibliches Rollenmodell bekommt, statt des selbstverleugnenden Wesens, das sie bisher gekannt hat. Sonst laufen Sie Gefahr, dass sie den mangelnden Respekt ihres Vaters Ihnen gegenüber kopiert, schon allein deshalb, weil sie Ihnen auf gar keinen Fall ähnlich werden will.
    Eine Ihrer Fehleinschätzungen besteht im übrigen darin, dass Sie sich dazu entschieden haben und offenbar an dieser Entscheidung festhalten, Ihre Kinder vor Ihren Gefühlen und Erlebnissen »schützen« zu wollen. Das ist sicherlich ein typisch mütterlicher Instinkt, der aber für niemand sonderlich konstruktiv ist. Ihre Kinder haben feine Antennen und spüren genau, dass Sie sich über Ihren Exmann ärgern. Doch statt das
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