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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte
Autoren: Paolo Bacigalupi
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Sagen hatte.
    Dieses Jahr hingen blaue Lumpen von den oberen Fenstern herab, die Unterstützung für Oberst Glenn Sterns Vereinte Patriotenfront signalisierten. Aber Mahlia wusste, dass die Bewohner des Dorfes heimlich auch den roten Stern bereithielten, für den Fall, dass die Gottesarmee wieder die Oberhand gewann und das Territorium zurückeroberte. An einigen Gebäuden waren noch die Sterne und Streifen der Tulane-Kompanie zu sehen, teils schon ziemlich verblichen, verunstaltet oder übermalt, aber viele waren es nicht mehr. Die Soldaten der Kompanie waren schon seit Jahren nicht mehr in der Gegend aufgetaucht. Es hieß, sie seien in die Sümpfe abgedrängt worden und würden sich jetzt als Fischer durchschlagen und Flusskrebse und Aale fangen, weil ihnen die Munition ausgegangen sei. Oder aber, sie hätten sich in den Norden geflüchtet, wo sie die Armee aus Halbmenschensöldnern, die an der Nordgrenze patrouillierte und niemanden durchließ, in Stücke gerissen hätte.
    Mahlias Vater hatte immer ausgespuckt, wenn er die verschiedenen Armeen erwähnt hatte. Egal, ob es die Gottesarmee, die Freiheitsmiliz oder die Vereinte Patriotenfront war. Keine einzige davon war in seinen Augen etwas wert. Ein Haufen z hi laohu, » Papiertiger « . Sie veranstalteten ein Mordsgebrüll, aber beim leisesten Hauch von echten Kampfhandlungen wurden sie umgeweht wie Papier. Wenn die Truppen von Mahlias Vater auftauchten, rannten sie davon wie die Ratten oder starben wie die Fliegen.
    Ihr Vater hatte oft von dem alten chinesischen General Sun Tzu und seinen Strategien erzählt. Die Papiertiger-Kriegsherren hatten dagegen keine Strategie– ihr Vater hatte immer Witze darüber gemacht, was für schlechte Soldaten sie waren.
    Laji, hatte er gesagt. » Abfall « . Jeder Einzelne von ihnen.
    Am Ende hatten die Kriegsherren dennoch gewonnen, und Mahlias Vater war mit dem Rest der Armee der chinesischen Friedenswächter wieder in die Heimat zurückgekehrt, während die Papiertiger ihren Sieg von den Dächern der versunkenen Städte gebrüllt hatten.
    Schweiß lief Mahlias Rücken hinab und durchtränkte ihr Tank-Top. Zur Mittagszeit das Haus zu verlassen war verrückt. Die Feuchtigkeit und Hitze waren unerträglich. Eigentlich sollte sie sich jetzt irgendwo im Schatten ausruhen, anstatt schwitzend und blutverschmiert mit einem Neugeborenen im Arm durch das Dorf zu laufen.
    Mahlia kam an dem Laden vorbei, wo Tante Selima Seife vom Schwarzmarkt, Zigaretten aus Moss Landing und allen möglichen Plunder verkaufte, den sie in den Ruinen der Vorstädte fand. Alte Teegläser, die den Krieg überlebt hatten. Gummischläuche zum Transportieren von Wasser. Verrostete Drähte, mit denen man Bambus zu Zäunen zusammenbinden konnte. All solche Dinge.
    In einer Ecke standen einige chinesische Blechöfen aus der Zeit, als die Friedenswächter ins Land gekommen waren und sich bei der Bevölkerung hatten beliebt machen wollen. Womöglich war es sogar das Bataillon von Mahlias Vater gewesen, das die Öfen mitgebracht hatte, um den Leuten zu zeigen, dass sie mehr Wärme erzeugten als ein offenes Lagerfeuer. Das hatte zu den Hilfsprojekten der Friedenswächter gehört, die die Menschen der versunkenen Städte davon hatten überzeugen sollen, dass sie sich lieber um die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen kümmern sollten, anstatt sich gegenseitig zu bekriegen. Sanfte Macht, hatte ihr Vater das genannt– die Herzen der Menschen zu gewinnen sei genauso wichtig, wie die hiesigen Milizen zu zerschlagen. Vor ihr tauchte Amayas Behausung auf. Sie war klein und befand sich im zweiten Stock eines alten, eingestürzten Steinhauses. Im Erdgeschoss hatten Amaya und ihr Mann aus heruntergefallenen Steinen einen Stall für ihre Ziegen gebaut.
    Mahlia flüchtete sich in den Schatten des offenen Erdgeschosses. Die Leiter, die zu Amayas Wohnung hinaufführte, war blau angestrichen, und kleine Talismane der VPF hingen wie Gebetsfahnen für die barmherzige Jungfrau Kali daran herab– magere Opfergaben, die Glenn Sterns Soldaten-Jungen fernhalten sollten.
    Als Mahlia ursprünglich nach Banyan Town gekommen war, hatte sie sich gefragt, warum hier niemand im Erdgeschoss wohnte. Mouse hatte sie ausgelacht und sie eine verwöhnte Stadtgöre genannt, weil sie nichts von den Panthern und Kojwölfen gewusst hatte, die nachts die Gegend unsicher
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