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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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führ­te, die sich mit nichts ver­glei­chen las­sen, was uns die Ge­schich­te in die­ser Hin­sicht über­lie­fert hat. Über­be­völ­ke­rung und zur Nei­ge ge­hen­de fos­si­le Brenn­stof­fe ha­ben die Ur­al­ten zum über­stürz­ten Bau von Kern­kraft­wer­ken ver­an­laßt, wo­bei die not­wen­di­gen Si­cher­heits­maß­nah­men au­ßer acht ge­las­sen wur­den. Vie­le die­ser KKWs wur­den an Ver­wer­fungs­spal­ten und in an­de­ren Ge­bie­ten er­rich­tet, in de­nen sich die gan­ze Wucht der For­mung aus­wirk­te. Hier, zur Lin­ken, se­hen Sie ei­ne Ho­lo­gramm-Über­sicht der vul­ka­ni­schen Ak­ti­vi­tä­ten und ra­dio­ak­ti­ven Strah­lungs­quel­len wäh­rend der fol­gen­den De­ka­den …“
    Er­neut wand­te sich mei­ne Auf­merk­sam­keit an­de­ren Din­gen zu. Ich war in der Hoff­nung zu den Ka­ver­nen ge­reist, für die klei­ne Tra­gö­die mei­nes ei­ge­nen Le­bens Trost zu fin­den an­ge­sichts der grö­ße­ren Tra­gö­die der Ver­gan­gen­heit, doch es mach­te die Sa­che nicht leich­ter für mich. Mei­ne Mit­rei­sen­den fan­den die Zer­stö­rungs­ma­schi­ne­rie of­fen­bar in­ter­essan­ter als das da­mit ver­bun­de­ne mensch­li­che Trau­er­spiel. Ich stand ab­seits von ih­nen und ver­brach­te den Rest der Be­sich­ti­gungs­tour da­mit, auf die fros­ti­gen Wun­der un­ter mir hin­ab­zu­star­ren.
    Als wir in die Ho­tel­hal­le ein­schweb­ten, kam mir die ver­trau­te und un­will­kom­me­ne Ge­stalt Pauls ent­ge­gen. Er wür­de mich nicht noch ein­mal ent­kom­men las­sen. Wir strit­ten uns hef­tig und lan­ge, sot­to vo­ce {1} in­mit­ten des über­füll­ten Re­stau­rants, zi­schend und flüs­ternd an der Bar, schrei­end und krei­schend an der Tür mei­nes Zim­mers, in das ich ihn nicht ein­las­sen woll­te. Als die be­sorg­ten Ho­tel­die­ner er­schie­nen, um den Auf­ruhr zu schlich­ten, floh ich er­neut, aus dem Ho­tel hin­aus, fort in ei­nem has­tig ge­mie­te­ten Hüp­fer, mög­lichst weit weg von ihm und sei­nem drän­gen­den Bit­ten, ich mö­ge den Rest mei­nes kur­z­en Le­bens mit ihm ver­brin­gen und in sei­nen ewig jun­gen Ar­men dank­bar alt und häß­lich wer­den. Aber mir war selbst wäh­rend die­ser Flucht klar, daß ich nicht Paul aus dem Weg ging, son­dern dem Wis­sen, was ich hät­te sein kön­nen, dem Wis­sen, was zu sein ich er­hofft hat­te wäh­rend un­se­rer ge­mein­sa­men Jah­re. Und als ich über die öde Käl­te flog, sah ich noch ein­mal die trü­be Ver­zweif­lung in sei­nen Au­gen. Und haß­te mich da­für, daß ich wein­te.
     

7
     
    Ich moch­te die­se Jen­ny. Ei­ne un­vor­her­ge­se­he­ne Ent­wick­lung, über die ich wäh­rend des Früh­stücks nach­dach­te. Sie be­weg­te sich vol­ler An­mut, ganz na­tür­lich, und gab wäh­rend ei­ner Un­ter­hal­tung ge­le­gent­lich ei­ne spit­ze Be­mer­kung von sich, die nicht nur zu­tref­fend, son­dern oft auch sehr er­hei­ternd war. Doch meis­tens war sie im­mer ganz still und mus­ter­te Paul und mich aus ih­ren ru­hi­gen, grü­nen Au­gen. Sie war nicht im ei­gent­li­chen Sin­ne hübsch und hat­te sich kei­ner Schön­heits­ope­ra­ti­on un­ter­zo­gen: Ih­re Na­se war ein we­nig zu groß, ein biß­chen zu eckig. Ih­re ho­hen, zar­ten und alt­mo­disch ge­form­ten Joch­bei­ne rahm­ten kon­ka­ve Wan­gen ein, und ei­ne dich­te Mäh­ne aus schwar­zem Haar fiel bis zu ih­ren Schul­tern hin­ab. Ich moch­te sie, und die Sym­pa­thie, die ich für sie emp­fand, über­rasch­te mich.
    Doch als ich die bei­den mit mei­nem be­tag­ten elek­tri­schen Ho­ver­wa­gen die ab­schüs­si­ge und schmut­zi­ge Stra­ße zum Dock hin­un­ter­fuhr, stellt ich fest, daß ich Jen­ny ver­un­si­cher­te: mit mei­nem of­fen­sicht­li­chen Al­ter, mei­ner Schroff­heit, mei­nem lei­sen Sar­kas­mus. Wuß­te sie, was einst zwi­schen mir und Paul ge­we­sen war? Und was das be­traf: Wuß­te es Paul über­haupt noch? Er­in­ner­te er sich noch an Ve­ne­dig oder war es nur ein ne­bel­haf­tes Bild, ver­bor­gen und ver­ges­sen in ir­gend­ei­nem ent­le­ge­nen Win­kel sei­nes Be­wußt­seins? Im­mer­hin: Es konn­te für ihn nicht all­zu an­ge­nehm ge­we­sen sein, mein al­tern­des Selbst zu be­trach­ten
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