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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust
Autoren: Henry Miller
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einsticht, und aus den Wunden, die sie sich mit einem abgebrochenen Messer beibrachte, floß in Sägemehl-Gesten ihr herrliches Ego. Sie sah durch den Dunst zwischen ihren Augen und erblickte Berge und riesige Salzebenen und mit Beifußbüschen gesprenkelte Tafelberge, wo nachts das
    Thermometer fiel wie ein Anker und der Wind stöhnte.
    Die Große Vanya setzte sich und schloß die Ohren, damit alles von vorn beginnen konnte; sie krümmte sich, und ihr Körper wurde schlaff und rollte sich zu einem Knoten
    zusammen, Arme und Beine zu Schlangen, ein Ball aus
    Gummibändern. Reglos und wie ein Fötus atmend, und wenn in ihr irgendwelche Gedanken waren, so wurden sie in ihrem Nabel ertränkt, und wenn man sie nach ihrem Namen gefragt hätte, so hätte sie nicht gewußt, ob er Miriam, Michael, David, Vanya, Esther, Ashteroth, Beelzebub oder Romanow lautete.
    So tief, blindlings und grimmig verkroch sie sich in sich selbst, daß sie sowohl Schoß als auch Fötus war, und was im Jenseits bebte und sich bewegte, war wie das Klopfen in einem
    geschwollenen Bauch… klopf, klopf… eine wilde Stute, die auf ihrem Bauch herumtrampelte, und ihre Kruppe war
    gewölbt wie die Wölbung des Himmels.
    Die Statue stand kalt da, mit glasigen Augen, und stach immer wieder auf sich ein, und es war wie ein Film, mit dem man hundertmal dieselbe Aufnahme gemacht hat. Jedesmal, wenn der Verschluß klickte, versank das Auge tiefer im Traum. Die Wiederholung und die Gewalt des Todes träumen vom Leben. Traum und Tod… hundertmal dieselbe Aufnahme.
    Jedesmal, wenn der Verschluß klickt, sinkt das Auge tiefer.
    Stummer Marmor, umzüngelt von Erotizismus, schwarze
    Ekstase, projiziert auf leinwandweiße Phantasie. Hysterie.
    Hysterie des Steins. Weiblicher Stein, der vor Musik erbebt.
    Statue, die mit der Wahrheit Unzucht treibt. Statue, die mit Lügen masturbiert. Unablässiges Masturbieren, obszön… eine Gummilitanei in einem Gummitraum. Eine hysterische Frau mit Marmororganen, eine Frau aus Marmor mit hysterischen Organen, ein weiblicher Stein, der seine Gedärme ausspuckt, ist ein feuriger Springbrunnen, der das Eis durchbricht. Eine hysterische Frau kann alles von sich glauben: daß sie mit Napoleon geschlafen oder Gott ihre Lippen dargeboten hat. Sie kann sagen, daß Ziegenböcke oder Shetlandponys ihr
    Verlangen gestillt haben, sie mag gestehen, daß sie sechs Männer gleichzeitig geliebt hat, und jeden mit aller Kraft. Sie mag so vor Musik erbeben, daß selbst die Erinnerung an ihre Leidenschaft zerfällt, zusammenbricht wie ein brennendes Gebäude. Alles, was nicht aus Stein ist, verbrennt. Die Organe bleiben intakt, stummer Marmor, umzüngelt vor Erotizismus, Ekstase, die auf eine weiße Leinwand gehängt worden ist.
    Verschließt alle Türen und setzt das Haus in Brand, und wo die Statue steht und mit Lügen masturbiert, wird doch Musik sein, das Beben brennenden Steins, Feuer, das das Eis durchstößt.
    Stich immer wieder auf sie ein, laß das Auge immer tiefer in den Traum fallen, nichts als die Wiederholung des Todes, Augen glasig vor Ekstase, jedes Klicken des Verschlusses eine Lüge, eine Unzucht. Wenn Frauen mit marmornen Organen
    versuchen, mit Gott zu schlafen, tritt Göttlichkeit in die Menopause ein. Was einst das Drama der Antike war, edle Musik der Mythen und Legenden, endet in der Prophylaxe.
    Diejenigen, die einst das Gefühl hatten, Persönlichkeiten zu sein, sehen ihre Falten und Gesten im Sägemehl verrinnen.
    Einst war die Welt jung, und die Wunden, die man davontrug, stellte man stolz zur Schau, weil Gott Seinen Finger in diese Wunden gelegt hatte und sie nicht heilen sollten – sie sollten mit Mut und Leiden ertragen werden. Und nun fahren wir wie wurmzerfressene Schiffe dem Sturm entgegen, und man kann einen Regenschirm durch die klaffenden Risse stecken, die unsere Wunden sind – doch es gibt kein Leiden und keinen Mut. Wir und unsere Persönlichkeit – denn wir sind unsere Persönlichkeit – gehen unter wie aufgegebene Schiffe, wie Schiffe, die zu wurmzerfressen sind, um den ersten Sturm zu überstehen.

    Finis.

    Nachwort

    Es war das Jahr 1927. Henry Millers zweite Frau war soeben mit ihrer Geliebten nach Europa durchgebrannt. Er selbst erholte sich gerade von einer langen Phase der – wie er es nannte – nervlichen Zerrüttung. Er war gedemütigt und mittellos und hatte wieder zu seinen Eltern ziehen müssen, die entsetzt waren, daß ihr sechsunddreißgjähriger Sohn ihren bürgerlichen Erwartungen
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