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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust
Autoren: Henry Miller
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entglitt mir das Leben ganz und gar.
    Ich griff nach etwas, das mir Halt geben sollte – und fand nichts. Doch indem ich die Hand ausstreckte, in meinem Versuch, Halt zu finden, mich festzuhalten, fand ich, im Stich gelassen, wie ich war, doch etwas, das ich gar nicht gesucht hatte: mich selbst.

    Noch wichtiger war, daß er entdeckte, was er wollte, nämlich
    »nicht leben – wenn man das, was andere tun, leben nennen soll –, sondern mich ausdrücken«. Denn June bestand
    kategorisch darauf, daß er seine Stellung bei der Western Union (und außerdem Frau und Kind) aufgeben und nur noch schreiben sollte. Wenige Monate nach ihrer Heirat im Juni 1924 begann er sein Leben als Schriftsteller. June ernährte sie durch verschiedene Jobs als Bedienung im Greenwich Village; zusätzlich brachte sie immer öfter Geld heim, das sie durch komplizierte Machenschaften gewann, in die sie ihre
    zahlreichen Verehrer verstrickte. Sie nannte das »Gold schürfen«, in Wirklichkeit scheint es sich aber um eine vornehmere Art von Prostitution gehandelt zu haben.
    Miller sagte später, er sei in die Vorstellung, Schriftsteller zu werden, so verliebt gewesen, daß er nicht habe schreiben können. Mit ganz untypischer Bescheidenheit machte er einen Anfang, indem er versuchte, Beiträge in Zeitschriften
    unterzubringen. Er schrieb eine Reihe von kleinen Skizzen, Betrachtungen über Themen wie das Marinegelände in
    Brooklyn oder berühmte Ringkämpfer, die er an alle
    möglichen großen Zeitschriften schickte und die fast immer abgelehnt wurden. June und er brüteten den Plan aus, diese Skizzen auf farbigen Karton drucken zu lassen und damit hausieren zu gehen. Bald darauf verwendete June die
    »Mezzotintos«, wie sie diese Blätter nannten, bei ihren Spielchen: Ihre Bewunderer kauften ganze Serien von
    Prosagedichten als Gegenleistung für Junes Gesellschaft –
    oder, was wahrscheinlicher ist, dafür, daß sie mit ihnen ins Bett ging. Es gelang ihr, eines davon in der Zeitschrift Pearson’s unterzubringen, doch es erschien nicht unter Henrys Namen, sondern unter ihrem. Seine Arbeiten wurden zu einem Zahlungsmittel in Junes sexuellen Beziehungen, und das wirkte sich, wie man sich leicht vorstellen kann, nicht sehr vorteilhaft auf seine schriftstellerische Entwicklung aus. Seine Geschichten waren flach, schwunglos, detailüberladen und überdies in einer barocken Sprache geschrieben.
    Millers zweiter Roman, den er 1928 schrieb, war ein
    Ergebnis solch bizarrer Umstände. June versuchte, einen reichen älteren Mann zu umgarnen, den sie nur »Pop« nannte, gab Henrys Arbeiten als ihre eigenen aus und wandte sich an Pop mit der Bitte um finanzielle Unterstützung, damit sie einen Roman schreiben könne. Er erklärte sich bereit, ihr ein wöchentliches Stipendium zu zahlen, wenn sie ihm jede Woche ein paar Seiten zeigte – Seiten, die ihr Mann
    geschrieben hatte. In dieser Zwangslage schrieb Miller Moloch, or This Gentile World, ein autobiographisches Porträt von Dion Moloch, einem Mann, der bei Western Union
    arbeitet und mit einer spröden, ständig nörgelnden Frau verheiratet ist.
    Ein anderes »Arrangement« hatte in dieser Zeit jedoch noch weit größere Auswirkungen auf seine Arbeit. Miller erholte sich damals von einem völligen Zusammenbruch, den er als Folge von Junes Affäre mit Jean Kronski erlitten hatte. 1927
    fuhren die beiden Frauen nach Paris, und in Junes Abwesenheit begann Henry die Ereignisse zu schildern, die zu seinem Zusammenbruch geführt hatten. Er sammelte damit Material, das später in Verrückte Lust sowie in Wendekreis des Steinbocks und Sexus, Plexus und Nexus einfloß. Verrückte Lust ist sein erster Versuch, jene quälenden Erfahrungen in ein Kunstwerk zu verwandeln, und das macht dieses Buch zu
    einem faszinierenden Dokument.
    Die Geschichte, die er zu erzählen hatte, war fast ein Alptraum. Während Henry in dem Apartment in Brooklyn
    Heights versuchte zu schreiben, arbeitete June als Kellnerin und Bedienung in Greenwich Village. Sie gehörte zur
    Subkultur dieses Viertels und kam mit allen möglichen
    fragwürdigen Gestalten in Berührung – von Millionären, die sich mal unter Künstlern und gescheiterten Existenzen
    umsehen wollten, bis zu androgynen Kreaturen der Nacht. Eine dieser Gestalten – die Vanya aus Verrückte Lust –erschien eines Tages in dem Restaurant, in dem June arbeitete. Sie war gerade von der Westküste nach New York gekommen und
    suchte Arbeit. June fand sie außerordentlich
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