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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Autoren: Morgan Matson
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hilfreich, dass wir nun mal sehr verschieden waren. Warren war schon in der Vorschule ein Genie gewesen und keiner war überrascht, dass er als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte. Und die fünf Jahre Altersabstand zu meiner Schwester – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie es absolut draufhatte, die zickigste Göre der Welt zu sein – hatten zur Folge, dass wir alles andere als unzertrennlich waren. Außerdem verbrachte Gelsey jede freie Minute mit Tanzen, wofür ich mich nicht die Bohne interessierte. Aber auch Warren und Gelsey waren nicht direkt dicke Tinte miteinander. Es herrschte kein bisschen Harmonie zwischen uns. Sicher hatte ich mir auch schon mal gewünscht, dass das anders wäre, besonders als ich noch jünger war und gerade die Chroniken von Narnia und andere Kinderbücher gelesen hatte, wo Geschwister immer die allerbesten Freunde waren und sich ständig umeinander kümmerten. Aber ich hatte mich schon lange damit abgefunden, dass das bei uns eben anders war. Das hieß nicht unbedingt etwas Schlechtes – es war halt, wie es war, und würde wohl auch so bleiben.
    Genauso, wie sich vermutlich nie etwas daran ändern würde, dass ich die Gewöhnliche in der Familie war. Seit ich denken konnte, galt Warren als der Schlaue und Gelsey als die Begabte. Ich hingegen war einfach nur Taylor, ohne irgendwelche besonderen Talente.
    Gelsey fuhr fort damit, Kuscheltiere in den Flur zu werfen. Ich hatte das Gefühl, an diesem Tag sowieso schon viel zu viel Zeit mit meinen Geschwistern verbracht zu haben, und wollte mich gerade wieder in mein Zimmer verdrücken, als mein Blick auf etwas Orangefarbenes fiel.
    »Ups.« Betont beiläufig bückte ich mich nach einem Stofftier, das mir bekannt vorkam. »Ich glaub, das ist meins.« Dabei kannte ich es haargenau. Es war ein kleiner, nicht besonders edler Plüschpinguin mit orange-weiß gestreiftem Schal. Der Filz war ziemlich billig und an manchen Stellen kam schon fast die Füllung zum Vorschein, aber an jenem Abend auf dem Jahrmarkt, als ich zwölf war und meinen ersten Kuss bekam – als Henry Crosby den Pinguin für mich gewonnen hatte –, da war dieses Plüschtier für mich das Tollste auf der Welt gewesen.
    »Den kenne ich noch«, sagte Warren und setzte diesen Blick auf, den ich überhaupt nicht leiden konnte. »Hast du das Viech nicht mal auf dem Rummel bekommen?« Mein Bruder verfügte über ein fotografisches Gedächtnis, das er aber normalerweise dazu benutzte, sich die absurdesten Fakten zu merken, und nicht, um mich zu nerven.
    »Hm.« Ich bereitete meinen Rückzug vor.
    »Das ist doch der kleine Pinguin, den Henry für dich gewonnen hat.« Warren sprach den Namen in einem ganz besonderen Ton aus. Sicher sollte das die Rache dafür sein, dass ich mich über seine Angst vor einem putzigen Hündchen lustig gemacht hatte. Wütend starrte ich meinen Bruder an. Gelsey musterte uns beide plötzlich sehr interessiert.
    »Was für ein Henry denn?«, wollte sie wissen.
    »Du weißt schon«, sagte Henry, wobei sich allmählich ein Grinsen auf seinem Gesicht breitmachte. »Henry Crosby. Er hat einen kleinen Bruder, Derek oder so. Henry war mal Taylors Freund.«
    Davy, korrigierte ich Warren innerlich. Ich fühlte, wie ich ärgerlicherweise rot wurde, und überlegte angestrengt, wie ich der Situation entfliehen konnte. Wenn es doch nur eine Möglichkeit gegeben hätte, mich einfach zu verdrücken, ohne dass meine Verlegenheit dadurch noch offenkundiger geworden wäre!
    »Ja, klar«, bestätigte Gelsey nachdenklich. »An den kann ich mich genau erinnern. Der war immer total nett zu mir. Und der kannte von allen Bäumen die Namen.«
    »Und …«, setzte Warren an, doch ich schnitt ihm das Wort ab, weil ich davon lieber nichts mehr hören wollte.
    »Du solltest jedenfalls dringend dein Chaos aufräumen, bevor Mom hier auftaucht«, empfahl ich sehr laut und deutlich, obwohl ich genau wusste, dass Gelsey von meiner Mutter so gut wie nie Ärger bekam. Trotzdem versuchte ich, überzeugend zu klingen. Und dann machte ich, so würdevoll es ging, den Abgang und verschwand völlig grundlos in der Küche – mit meinem Plüschpinguin in der Hand.
    Henry Crosby. Der Name hallte in meinem Kopf wider, als ich den Pinguin auf die Arbeitsplatte setzte und einen Schrank auf- und gleich wieder zumachte. An Henry hatte ich in den letzten Jahren bewusst so wenig wie möglich gedacht. Inzwischen war er fast vergessen und zu einer Floskel reduziert worden, zur Standardantwort auf die
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