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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
Autoren: Morgan Matson
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antworten, sondern konnte nur weinen. Dann hörten wir uns seine Platten an – Jackson Browne, Charlie Rich, Led Zeppelin, die Eagles – lauter langhaarige Typen, die Opa immer noch nicht leiden konnte, zumindest seinem Gesicht nach zu urteilen, wenn er ins Zimmer kam. Während die Musik lief, stellte Dad mir weiter Fragen, und solange uns noch Zeit dazu blieb, versuchte ich ihm zu erklären, wer ich war und wer ich werden wollte.
    Währenddessen weigerte sich der Hund, seinen Platz unter dem Bett meines Vaters zu verlassen. Wir mussten ihm dort sogar seinen Fress- und Trinknapf hinstellen, obwohl Roberto, der gewissenhafteste von den Krankenpflegern, höchst besorgt war wegen möglicher Keime. Davy kam nach wie vor zweimal am Tag und schaffte es, den Hund unterm Bett hervorzulocken und mit ihm schnell Gassi zu gehen. Aber abgesehen davon rührte sich Murphy nicht von der Stelle.
    Ich hatte schließlich aufgegeben und mich mit dem Ausziehbett arrangiert, da ich sowieso kaum schlafen konnte. Die Nachtpfleger waren inzwischen daran gewöhnt und nickten mir nur kurz zu, wenn ich leise hinaus auf die Veranda schlich. Manchmal war mein Großvater noch wach und setzte sich neben mich, wenn ich in den Sternenhimmel schaute. Das brauchte ich manchmal, weil dort alles so wohltuend geordnet und beständig war, während in meinem Leben gerade alles aus den Fugen geriet. Wenn er schlafen ging, ließ er das Teleskop für mich stehen. Am Ende des Monats war ein Meteorschauer zu erwarten, und da Großvater meinte, im Vorfeld eines solchen Ereignisses sei der Himmel immer besonders interessant, hielt ich meine Augen danach offen.
    Wenn mein Großvater nachts nicht mit draußen war, weinte ich. Ich hatte es aufgegeben, die Tränen zu unterdrücken. Tagsüber versuchten wir uns alle – vor Dad und den anderen Familienmitgliedern – so gut es eben ging zusammenzureißen. Aber nachts, wenn mir die Ereignisse des Tages erst richtig bewusst wurden, ließ ich meinen Tränen auf der Veranda einfach freien Lauf. Und so hilflos diese Reaktion auch war, konnte ich doch nichts anderes tun. Also weinte ich und versuchte mir Wortspiele auszudenken, die meinen Vater vielleicht noch einmal zum Lachen bringen könnten. Und nebenbei schaute ich in den Sternenhimmel.
    Als ich einmal von einem nächtlichen Verandabesuch, bei dem ich ohne Großvaters Hilfe Sirius gefunden hatte, wieder hineinging, beugte sich Paul gerade über meinen Vater. Mein Herz blieb fast stehen und fing dann an panisch zu rasen. »Was ist denn los?«, flüsterte ich, sah auf meinen Dad und hatte plötzlich solche Angst wie noch nie in meinem ganzen Leben.
    »Nichts«, antwortete Paul leise und mein Entsetzen ließ ein bisschen nach. »Er hat es nur ein bisschen schwer heute Nacht. Armer Kerl.«
    Ich betrachtete das Pflegebett, an dessen Anblick wir inzwischen so gewöhnt waren, als ob es schon immer in unser Wohnzimmer gehörte. Dad schlief mit offenem Mund. Er sah ausgemergelt aus, hatte gelblich-ledrige Haut und wirkte in dem riesigen Bett ziemlich verloren. Er atmete schwer und rasselnd, ich lauschte auf jeden Atemzug und wartete ungeduldig auf den nächsten.
    Es kam mir unpassend vor, einfach zurück in mein Zimmer zu gehen und mich gemütlich schlafen zu legen. Daher richtete ich mich auf dem Sofa ein, das in der Nähe des Krankenbetts stand, und betrachtete meinen schlafenden Vater im fahlen Mondlicht, das durchs Fenster auf sein Gesicht fiel. Ich lauschte weiter seinen Atemzügen und bekam Herzklopfen, wenn einer auf sich warten ließ und der Rhythmus nicht stimmte. Dabei musste ich daran denken, dass er vor Jahren wahrscheinlich genauso an meinem Bettchen gesessen hatte, als ich noch ein Baby war.
    Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als an der Situation etwas ändern zu können. Aber ich konnte nichts weiter tun, als wachzuliegen und seine rasselnden Atemzüge zu zählen. Mir war klar, dass ihm nicht mehr viele davon vergönnt waren, und es erschien mir herzlos, nicht auf jeden einzelnen davon zu achten. Und so lag ich da, lauschte, wie er atmete – wohl wissend, dass jedes Luftholen von ihm zwar bedeutete, dass er noch bei uns war, ihn jedoch gleichzeitig auch seinem Ende ein Stück näher brachte.
    Als eine Tür quietschte, schaute ich auf und sah Gelsey im Flur stehen. Sie trug ein uraltes, verwaschenes Nachthemd, das früher mal mir gehört hatte. »Du warst nicht im Bett«, flüsterte sie. »Ist alles in Ordnung?« Ich nickte und winkte sie dann ohne zu
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