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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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Tage auf die Straße zu treten. In diesem Stadtteile konnte man übrigens kaum jemand durch solche Kleidung verblüffen. Die Nähe des Heumarktes, die Menge von gewissen Lokalen und die in diesen Straßen und Gassen im Zentrum Petersburgs zusammengedrängte dichte Handwerker- und Arbeiterbevölkerung belebten zuweilen das Straßenbild mit solchen Subjekten, daß es sogar sonderbar wäre, über manche Figur zu staunen. In der Seele des jungen Mannes hatte sich aber schon so viel boshafte Verachtung aufgespeichert, daß er sich, trotz seiner zuweilen noch sehr jugendlichen Empfindlichkeit, seiner zerlumpten Kleidung am allerwenigsten schämte. Anders war es bei den Begegnungen mit manchen seiner Bekannten oder mit seinen früheren Kollegen, denen er überhaupt sehr ungern begegnete ... Als aber ein Betrunkener, den man gerade, Gott weiß warum und wohin, in einem großen, leeren, mit einem riesenhaften Lastpferd bespannten Leiterwagen vorüberführte, ihm plötzlich zurief: »He, du Deutscher mit dem Hute!« und, auf ihn mit der Hand weisend, aus vollem Halse zu schreien begann, blieb der junge Mann plötzlich stehen und griff krampfhaft nach seinem Hut. Es war ein hoher, runder Zimmermannscher Hut, vollkommen abgetragen, ganz rot vor Alter, voller Löcher und Flecken, ohne Krempe und mit einem häßlichen Knick auf einer Seite. Es war aber keine Scham, was er empfand, sondern ein ganz anderes Gefühl, das sogar an Schreck grenzte.
    »Das wußte ich ja!« murmelte er verlegen: »Das dachte ich mir auch! Das ist schon das Allerschlimmste! So eine Dummheit, so eine ganz gemeine Kleinigkeit kann den ganzen Plan verderben! Ja, der Hut ist viel zu auffallend ... Er ist lächerlich und darum auffallend ... Zu meinen Lumpen gehört unbedingt eine Mütze, und wenn auch so flach wie ein Pfannkuchen, und nicht dieses Scheusal. Kein Mensch trägt so einen Hut, man wird ihn schon aus einer Entfernung von einer Werst sehen und sich merken ... man wird ihn sich merken, und da hat man schon ein Indizium. Man muß dabei möglichst wenig auffallen ... Kleinigkeiten, solche Kleinigkeiten sind das Wichtigste! ... Solche Kleinigkeiten richten jedes Unternehmen zugrunde ...«
    Er hatte nicht weit zu gehen; er wußte sogar, wieviel Schritte es vom Tore seines Hauses waren: genau siebenhundertunddreißig. Er hatte sie einmal gezählt, als er ganz im Banne seiner Träume war. Damals wollte er noch selbst nicht an diese seine Träume glauben und stachelte sich nur durch ihre häßliche, doch verführerische Kühnheit auf. Doch jetzt, nach einem Monat sah er die Dinge anders an und hatte sich, trotz aller aufstachelnden Monologe über seine eigene Ohnmacht und Unentschlossenheit, schon gewöhnt, seinen »häßlichen« Traum für ein wirkliches Unternehmen zu halten, obwohl er sich auch noch nicht recht traute. Er ging jetzt sogar, eine Probeseines Unternehmens zu machen, und seine Erregung wuchs mit jedem Schritt.
    Mit ersterbendem Herzen und nervösem Zittern näherte er sich einem riesengroßen Hause, das mit der einen Seite auf den Kanal und mit der andern auf die *sche Straße hinausging. Dieses Haus bestand aus lauter kleinen Wohnungen und war von allerlei Gewerbetreibenden, Schneidern, Schlossern, Köchinnen, deutschen Handwerkern, alleinstehenden Mädchen, kleinen Beamten usw. bewohnt. Die Aus- und Eingehenden huschten nur so durch die beiden Torwege und die beiden Höfe. Drei oder vier Hausknechte versahen hier den Dienst. Der junge Mann war sehr froh, daß er keinem von ihnen begegnete, und schlüpfte sofort direkt aus dem Torwege unbemerkt die Treppe nach rechts hinauf. Die Treppe war finster und eng, eine richtige »Hintertreppe«, doch er kannte sie schon, hatte alles genau studiert, und die Örtlichkeit gefiel ihm nicht schlecht; in dieser Dunkelheit würde ihm auch ein neugieriges Auge ungefährlich sein. – Wenn ich schon jetzt so fürchte, wie wird es dann werden, wenn ich mal vor der Sacheselbst stehe? – dachte er sich unwillkürlich, als er den dritten Stock erreichte. Hier versperrten ihm einige Träger – verabschiedete Soldaten, die aus einer Wohnung Möbel heraustrugen, den Weg. Er wußte schon von früher, daß in dieser Wohnung ein deutscher Beamter mit Familie wohnte: – Dieser Deutsche zieht aus, also bleibt im dritten Stock für einige Zeit nur die Wohnung der Alten allein bewohnt. Das ist gut ... für jeden Fall ... – dachte er sich wieder und läutete bei der Alten an. Die Glocke klimperte schwach, als sei
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