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Venusblut - Schreiner, J: Venusblut

Venusblut - Schreiner, J: Venusblut

Titel: Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Autoren: Jennifer Schreiner
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auf; erschrocken verbarg sie ihr Handgelenk zwischen sich und dem Waschbecken, beugte sich gen Spiegel, bewegte das ihr fremde Gesicht und tat, als prüfe sie ihr Make-up.
    Der Mann, der hinter ihr den Raum betrat, sah sie einen Moment lang an, lächelte, sein Blick merkwürdig intensiv, seine Augen seltsam dunkel, nickte ihr zu und ging dann Richtung Toilettenraum. An der Tür warf er einen Blick zurück, der sie mitten in der Drehbewegung verharren ließ, obwohl sie ganz offensichtlich das falsche WC erwischt haben musste. Einen Moment lang setzte ihr Herzschlag aus, ihre Atmung, dann ging er durch die Öffnung, die Tür fiel hinter ihm zu und nahezu augenblicklich vergaß sie, dass sie hatte gehen wollen. Es gab kein Urinal, nur Toilettenkabinen, eindeutig war sie richtig, er falsch.
    Bei dem zweiten Blick in den Spiegel wurde der kurze Augenblick der Erleichterung unterbrochen von einer weitaus wichtigeren Feststellung, der sich im Vordergrund der Realität manifestierte: Nichts war in Ordnung.
    Sie runzelte die Stirn, weil sie plötzlich nicht mehr wusste, was sie eben noch gedacht hatte. Es hatte doch auf der Hand gelegen, war so offensichtlich, dass es schmerzte. Aber auch diese Information hatte sich aus ihrem Bewusstsein zurückgezogen, hatte etwas mit der Toilette zu tun und mit … sie wusste es nicht mehr, erinnerte sich nur noch an das, was sie gerade hatte tun wollen. Tief durchatmend und sich innerlich gegen alle Möglichkeiten wappnend, zog sie abermals den Jackenärmel hoch und prüfte das Band. Die Schrift war verkehrt herum, offenbarwar das, was dort stand, nicht für sie bestimmt. Sie verdrehte ihren Arm und las: Joline. Daneben stand eine Nummer. Eine Telefonnummer?
    Nachdenklich betrachtete sie die Zahlen, doch eine Telefonnummer war das einzige, was einen Sinn ergab. Nachdenklich starrte sie auf das Stück Plastik und die neuen Fragen brachten sie beinahe um den Verstand. Wer bist du, Joline? Und warum trägst du deinen Namen und eine Telefonnummer auf einem Plastikarmband bei dir? Die Antwort war so simpel, dass es beinahe weh tat: Weil das hier vermutlich nicht zum ersten Mal passierte! Vielleicht würde sich gleich alles aufklären!
    Mit zittrigen Fingern holte sie das Handy aus der Tasche und starrte es unentschlossen an. Was, wenn alles ganz anders war? Wenn sie von dem Ort, an den die Telefonnummer führte, geflohen war? Vielleicht, weil es ein schlimmer und unerträglicher Ort war und sie jedes Mal floh und sich jedes Mal selbst wieder dorthin verfrachtete, weil sie jedes Mal gedächtnislos anrief?
    Sie könnte auch die Polizei anrufen – aber dann? Hätte sie als Erinnerungslose nicht schlechte Karten? Vor allem, wenn die anderen die zwangsläufig glaubhaftere Erklärung für ihre derzeitige Situation hatten?
    Vor Frust über ihre eigene Paranoia hätte Joline beinahe geschrien. Wütend auf sich selbst wählte sie die Nummer und wartete gespannt. Nach dreimaligem Läuten wurde die Verbindung hergestellt und eine Bandansage begann. Schon bei den ersten Worten hätte Joline beinahe angefangen zu weinen. Sie kannte diese Stimme. Und die Sätze, die folgen würden, ebenfalls. Sie war dabei gewesen, als sie zum ersten Mal gesprochen und aufgezeichnet worden waren. Vor einer halben Ewigkeit und in einem Leben, in dem ihr Leben beinahe normal gewesen war.
    Trotz ihres Willens nicht zu weinen, traten nun erste Tränen in ihre Augen und zauberten einen trüben Schleier über die Welt. Aber sie musste sich zusammenreißen. Musste stark sein und weitergehen, tun, was die Stimme sagte. Sie hatte keine Zeit für Schwäche!
    Noch bevor der Ansager ausgesprochen hatte, legte Joline entschlossen auf. Zum ersten Mal sah sie wieder Charakter und Willensstärke in den Zügen ihres Spiegelbildes. Eine Körperhaltung und ein Antlitz, das ihr wohl vertraut war. Mit einem seltsamen Hochgefühl ob des gelösten Rätsels drehte sie sich um – und wäre beinahe in den Mann hineingelaufen.
    Sie hatte nicht gehört, dass er die Toilette verlassen hatte. Zum ersten Mal sah sie ihn wirklich. Alter Glanz und ein gehobener Status zeichneten sich auf seinen Zügen ab – und machten seinen optischen Verfall noch deutlicher. Und seinen Hass. Uralte Wut, der man sich niemals würde vollständig entziehen können. Sie manifestierte sich als Angst in Jolines Adern, ließ ihr Herz schneller schlagen,das Blut in ihren Adern rasen. Eine Gänsehaut lief über ihre Haut und brachte sie ebenso zum Zittern, wie der
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